Zerrissene Jeans als Uniform im indischen Kampf gegen Frauenfeindlichkeit
Die zerrissene Jeans ist in Indien seit Kurzem mehr als nur ein Fashion-Statement. Denn mit dem Hashtag #rippedjeans wehren sich Frauen gegen Sexismus.
Auslöser für die Debatte war eine Aussage des Regierungschefs von Uttarakhand im Norden Indiens, Tirath Singh Rawat. Er hatte eine NGO-Chefin kritisiert, weil sie zerrissene Jeans trug.
Zerrissene Jeans als Auslöser für einen Kulturkampf
Lockerer Schnitt, Löcher über den Knien: Die Ripped Jeans sind spätestens seit der Geburt des Punks ein fixer Bestandteil in vielen Kleiderschränken. Standen sie in den 70ern noch für Anarchie und Rebellion, haben die zerfetzten Hosen also zumindest in den westlichen Ländern schon lange Einzug in den Mainstream gehalten. In Indien scheint der rebellische Charakter der Hose nun aber wieder zum Leben erweckt worden sein. Schon länger sind Jeans – egal ob zerrissen oder nicht – indischen Konservativen ein Dorn im Auge. Doch nun hat die Aussage eines Politikers einen Kulturkampf ausgelöst, bei dem es auch um Frauenrechte und Sexismus geht.
Der Regierungschef des indischen Bundesstaats Uttarakhand, Tirath Singh Rawat hatte in einer Rede im Rahmen einer Tagung zum Thema Kinderrechte eine Zufallsbekanntschaft mit einer NGO-Chefin in einem Flugzeug beschrieben: „Sie leiten eine NGO, tragen an den Knien zerrissene Jeans in der Öffentlichkeit und reisen mit Kindern – welche Werte werden sie so vermitteln?“, kritisierte er. Zerrissene Jeans seien symptomatisch für die um sich greifende moralische Verkommenheit. Eltern hätten zudem dafür zu sorgen, dass Kinder, vor allem Mädchen, anständig gekleidet seien.
Symbol gegen Frauenfeindlichkeit
Lange hat es nicht gedauert, da folgte auch schon die Kritik. Die Opposition forderte eine umgehende Entschuldigung oder den Rücktritt Rawats, der der Partei von Premierminister Narendra Modi angehört. Er solle sich um wichtigere Dinge kümmern, etwa die Sicherheit von Frauen oder die „zerrissene Wirtschaft“, so einige der Ratschläge, die ihm Frauen aus allen Teilen Indiens per Twitter gaben.
Die Frauenfeindlichkeit, die in den Worten Rawats herausklingt, ist nichts Neues für einen indischen Politiker aus konservativen Kreisen. Sie geben sich öffentlich als Tugendwächter, die starr am indischen Patriarchat festhalten. Jeans sind ein gängiges Hassobjekt. Zerrissene Jeans gelten hier als besonders verwerflich, vereinen sie doch gleich mehrere Feindbilder: Nackte Haut, Frauen in engen Hosen und Jeansstoff als Sinnbild von negativem westlichen Einfluss auf die indische Kultur. Frauen sollen sich stattdessen in Saris kleiden – der Sari ist ein traditionelles Kleidungsstück in Indien. Im Gegensatz ist die Jeans vor allem bei der jungen Mittel- und Oberschicht in Indien immer beliebter.
Die Aussage Rawats gilt als besonders heikel, da es in Indien immer wieder vorkommt, dass Politiker, Frauen die Mitschuld an Gewalttaten geben, weil sie diese mit freizügiger Kleidung provoziert hätten. In ländlicheren Gegenden sind strenge Kleidungsvorschriften durch die Regionalpolitik durchaus noch an der Tagesordnung. Denn obwohl schon seit den 1980er Jahren weit verbreitet, gelten Jeans in ländlichen Gebieten immer noch als Kleidungsstück, das Generationen spaltet.
#rippedjeans auf Twitter
Auf Twitter trendet mittlerweile der Hashtag #rippedjeans in Indien. Viele User drücken darunter ihren Unmut über Rawats Aussagen und die Frauenfeindlichkeit im Land aus. Frauenrechtlerin Swati Maliwal, Vorsitzende der Delhi-Frauenkommission etwa, war eine der Ersten, die sich meldeten: „Vergewaltigungen passieren nicht, weil Frauen kurze Kleidung tragen, sondern weil Männer wie Rawat Misogynie propagieren und in ihrem Job versagen.“ Angesichts des medialen Aufschreis erklärte Rawat vergangene Woche, er entschuldige sich, sollte seine Aussage jemanden verletzt haben. Das sei nicht seine Intention gewesen, jeder solle frei entscheiden, was er oder sie tragen möchte.
Alle 15 Minuten wird eine Inderin vergewaltigt
Die Zahl der Übergriffe gegen Frauen und Mädchen in Indien ist extrem hoch. Nach offiziellen Statistiken wird alle 15 Minuten eine Inderin vergewaltigt. Jedoch schätzt man die Dunkelziffer als noch weitaus höher ein. Denn viele Angriffe werden vertuscht. Aktivistinnen werfen der Polizei und dem Justizsystem vor, Opfer sexueller Gewalt zu wenig ernst zu nehmen. Nur die brutalsten Fälle machen große Schlagzeilen. Manche der Verdächtigen kommen zudem auf Kaution frei.