Wieso mich weniger Dinge glücklicher machen, aber Minimalismus viel zu viel ist
Einkaufen macht glücklich. Dahinter steckt wohl eine gewisse Wahrheit. Doch manchmal ist weniger mehr. Vor allem, wenn man der Philosophie des Minimalismus Glauben schenkt.
Auch ich habe in den letzten Wochen nach etwas gesucht, das mich glücklich macht und dabei entdeckt: Um das Glück zu finden, muss ich mir nichts zulegen, sondern etwas weggeben. Der Trend des Minimalismus ist mir dennoch einfach zu viel.
Das Streben nach Dingen
Wir alle streben nach etwas. Ob es beruflicher Erfolg ist, Glück in der Liebe, finanzielle Sicherheit oder einfach nur der nächste entspannende Urlaub. Wir arbeiten stets auf irgendetwas hin. Das ganze Leben besteht darin, immer wieder ein kleines Licht am Ende des Tunnels flackern zu sehen. Wir wollen es erreichen. Sobald wir das aber getan haben, betreten wir schon den nächsten Tunnel. Das Gefühl von Leichtigkeit, absoluter Zufriedenheit und reinem Glück, auf das wir uns so gefreut haben, ist, wenn überhaupt, nur flüchtig.
Wir alle streben nach mehr. Ob mehr Geld, mehr Freizeit, mehr Besitz: Mehr von etwas zu haben ist besser. Es gibt uns ein Gefühl von Sicherheit und der Möglichkeit zu wählen. Die Reichen haben mehr, die Armen weniger. So verstehen wir unsere Gesellschaft. Und während Stars wie Kylie Jenner ihre unzähligen Autos auf Instagram präsentieren, steigt die Zahl ihrer Follower und mit dieser auch ihr Reichtum.
Wir alle streben nach Gewinn. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft und diese ist auf Wachstum ausgerichtet. Technik, Innovation und Investition sorgen dafür, dass immer mehr Waren und Dienstleistungen produziert werden und die Anbieter davon profitieren können.
Wir alle streben nach irgendwelchen Dingen. Ob materiell oder nicht. Und genau über dieses Streben habe ich mir in den letzten Monaten den Kopf zerbrochen. Wieso will ich immer mehr? Und wieso bin ich nie vollkommen zufrieden, wenn ich wieder einmal am Ende eines Tunnels angekommen bin und etwas erreicht habe?
Das Streben nach Glück
Egal, wonach wir genau streben, schlussendlich wollen wir alle eines erreichen: Glück. Wir wollen glücklich sein, zufrieden sein, angekommen sein. Wir setzen uns Deadlines, sagen uns, wenn wir diesen einen Punkt erreicht haben, sind wir glücklich. Wenn wir endlich die Beförderung bekommen haben, sind wir glücklich. Wenn wir in der Beziehung endlich den nächsten Schritt wagen, sind wir glücklich. Natürlich heißt das nicht, dass man bis dahin stets traurig und unglücklich ist. Immerhin sind es auch die kleinen Momente, die uns Glück bescheren. Ganz klischeehaft eben nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“. Trotzdem ist auch dieses Glück angetrieben vom Streben nach mehr.
Bei mir aber hat sich in den letzten Monaten ein Gefühl eingeschlichen, das mir neu war. Das ewige Streben hat mich einfach nicht mehr glücklich gemacht. Ich wollte nicht ständig auf etwas hin arbeiten, nicht ständig mehr wollen. Ich wollte ganz einfach mit dem zufrieden sein, was ich habe. Und weil, ganz im Sinne unseres kapitalistischen Systems, alle Veränderung vorwiegend auf materieller Ebene beginnen, wollte ich damit aufhören, ständig neue Dinge haben zu wollen.
Entrümpelte Wohnung, entrümpelter Kopf?
Und weil ich natürlich auch ein braver Netflix-Konsument bin und Serien wie „Aufräumen mit Marie Kondo“ oder Dokus wie „Minimalism: A Documentary About The Important Things“ gesehen habe, entschied ich mich dazu, Minimalistin zu werden. Minimalismus: Ein Lebensstil, bei dem es um die Reduktion von Besitz und die gleichzeitige Maximierung von Sinnvollem geht. Zurück zum einfachen Leben, so zumindest stellte ich mir die Philosophie dahinter vor. Ich müsste also nur meine Wohnung ausmisten und der Kopf würde gleichzeitig mit entrümpelt werden. Also entschloss ich mich dazu, meinen Kleiderschrank auszumisten, meine alten Zeitschriften wegzuschmeißen und jegliche Deko-Elemente, die mehr Staub auffingen, als sie mir Freude brachten, aus meiner Wohnung zu entfernen. Auch Möbelstücke, die ich nicht dringend benötigte, wurden entfernt. Außerdem nahm ich mir vor, mir keine neuen Dinge mehr zuzulegen, die nicht absolut notwendig seien oder die ich nicht unbedingt wollte.
Denn beim Minimalismus geht es nicht darum, so wenige Dinge wie möglich zu haben. Es geht vielmehr darum, nur Dinge zu besitzen, die absolut essenziell sind oder die einem wirklich Freude bereiten. Und tatsächlich schlug sich diese materielle Veränderung auch auf mein allgemeines Befinden nieder. Ich dachte nicht mehr darüber nach, was ich mir als Nächstes kaufen könnte. Ich dachte auch nicht mehr darüber nach, was mir in meinem Leben fehlen würde. Stattdessen erfreute ich mich daran, was ich tatsächlich hatte. Ich konzentrierte mich darauf, Freude an der Arbeit zu haben, Unterhaltungen mit meinen Freunden zu führen und Zeit mit der Familie zu verbringen.
Minimalismus ist Luxus
Ich musste also etwas loswerden, um wirklich glücklich zu sein beziehungsweise das Glück, das ich bereits hatte, auch sehen zu können. Und dabei bemerkte ich: Minimalismus ist Luxus. Denn nur wer mehr als genug zum Leben hat, kann sich auf eine Reduktion konzentrieren, auf ein Streben nach weniger. Zahlreiche Studien belegen, dass Geld glücklich macht. Zwar auch nur bis zu einer gewissen Summe, aber dennoch: In unserem System ist es nun einmal der Schlüssel zum Glück. Geld ist wichtig, vor allem für all jene, die es nicht besitzen.
Und weil ich mich mein Leben als frisch gebackene Minimalistin an meine Privilegien erinnerte, konnte ich viel dankbarer sein. Zumindest für kurze Zeit. Denn schon bald stellte sich ein alt bekanntes, unruhiges Gefühl ein: Ich strebte nach mehr. Dieses Mal nach mehr „weniger“. Ich wollte eine bessere Minimalistin sein. Ich kaufte mir Bücher über das Thema, wollte meine gesamte Wohnung neu einrichten, um weniger Möbel zu besitzen, die dafür aber alle einheitlich aussahen. Es war ein Streben nach einem Minimalismus, der von Pop-Kultur und Kapitalismus geprägt war. Die bekannteste Minimalistin, Kim Kardashian, lebt immerhin in einem 60 Millionen Dollar-Anwesen, dessen spärliche, triste Inneneinrichtung wohl mehr gekostet hat, als ich in den nächsten Jahren verdienen werde. Und so wurde mir der Minimalismus ganz schnell zu viel. Ich musste einsehen, dass es kein Rezept für ein glücklicheres Leben, für einen befreiten Kopf gibt. Und wenn, dann liegt es vermutlich in jedem einzelnen von uns und nicht in der Anzahl an Besitztümern, die wir haben.