miss: Viele Menschen vertreten die Ansicht, dass es unnatürlich und zudem ungesund ist, die Muttermilch von Tieren zu trinken (die Milchproduktion wird künstlich stimuliert – es handelt sich also nicht um ein natürliches Produkt). Was ist da aus ernährungswissenschaftlicher Perspektive dran?

Julia Pabst: Das Thema Milch sorgt seit längerer Zeit für hitzige Diskussionen. Die Meinungen gehen dabei wahnsinnig weit auseinander und sind teilweise sehr extrem. Ja es stimmt, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das Milch nach dem Säuglingsalter und zudem von einer anderen Spezies trinkt.

Der Mensch ist aber auch das einzige Lebewesen, das sich durch Ackerbau und Viehzucht und damit durch Nutzung nahrhafter Ressourcen verschiedene Vorteile erarbeitet hat. Umgekehrt muss man auch sagen, es wäre unnatürlich in Betonhäusern zu wohnen, in Autos zu fahren und in Flugzeugen zu fliegen. Zurück zum Ernst des Themas: solange möglichst naturbelassene Produkte (Naturjoghurt, Buttermilch) in moderaten Mengen konsumiert werden, halte ich das für kein großes Problem. Wie bei so vielen Bereichen der Ernährung halte ich es mit der Devise: die Dosis macht das Gift.

miss: In der Werbung wird stets betont, dass Milch wichtig für den gesunden Aufbau und die Stärke der Knochen ist. Entspricht das der Wahrheit?

Julia Pabst: Milch und Milchprodukte enthalten Calcium, einen Mineralstoff der wichtig für den Knochenaufbau ist. Milch kann ein Lieferant für Calcium sein, sie ist aber nicht das einzige Lebensmittel, das diesen Nährstoff liefert. Auch ohne Milchprodukte kann die Calciumversorgung sicher gestellt werden, etwa über Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte oder grüne Blattgemüse.

Wichtig ist auch, nicht nur einzelne Nährstoffe zu betrachten. Calcium ist zwar wichtig für gesunde Knochen, es kann aber nur mit Hilfe von Vitamin D in die Knochen eingebaut werden. Für gesunde Knochen muss daher auch eine ausreichende Versorgung an diesem Vitamin sicher gestellt sein. Weiterer Faktor, der beim Thema Knochengesundheit nicht außer Acht gelassen werden darf, ist Bewegung. Gesunde Knochen sind daher eine Sache des gesamten Lebensstils, und nicht der Frage, ob Milch konsumiert wird, oder nicht.

miss: Kritiker sind der Überzeugung, dass Milch höchst negative Nebenwirkungen auf den Körper (Pickel-Bildung, Krebs, brüchige Knochen etc.) haben kann. Stimmt das – und wenn ja, welche Nebenwirkungen sind wissenschaftlich tatsächlich belegt?

Julia Pabst: Milch allein kann nicht für all diese Dinge verantwortlich sein, da kommen immer viele Faktoren zusammen. Nehmen wir das Beispiel brüchige Knochen: eine Ernährung die stark auf tierischen Eiweißlieferanten (Milch, Fleisch) basiert, führt zu einem Säureüberschuss im Körper. Wird das Säure-Basen-Gleichgewicht nicht durch die Ernährung ausgeglichen, führt das dazu, dass aus dem Knochen Calcium zum Abpuffern der Säuren verwendet wird.  Wer aber genug basenbildende Lebensmittel (Obst, Gemüse) zu sich nimmt, kann das verhindern. Also Milchprodukte im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung mit viel Gemüse und Obst haben nicht denselben Effekt auf den Körper wie Milchprodukte in einer stark fleisch- und zuckerbetonten Ernährungsweise. 

Die Studienlage zum Thema Milch ist auch nicht eindeutig. Gerade Krankheiten wie Krebs oder Herzkrankheiten sind nie auf eine Ursache zurückzuführen, sondern entstehen multikausal. Das heißt, es ist zu eindimensional gedacht, wenn man in einer Studie nur anschaut, ob eine Person Milch trinkt und dann eine bestimmte Art von Krebs bekommt. Da kommen ja noch ganz andere Ernährungsfaktoren dazu, und sicherlich auch die Gene. Genauso muss man sich Lebensstilfaktoren wie Bewegung und Rauchen ansehen.

miss: Surft man im Internet, so liest man immer wieder, dass Milch angeblich Eiter enthalten soll. Kann man dieser Informationen Glauben schenken?

Julia Pabst: Milch ist ein tierisches Produkt und – wie viele andere Lebensmittel auch – nicht keimfrei. Milch kommt nun mal aus dem Euter der Kuh und auch bei Tieren kann es schon mal zu einer Entzündung kommen. Als Abwehrreaktion bildet der Organismus dann Abwehrzellen, und der Mix aus Abwehrzellen und Erregerzellen wird Eiter genannt. Für den Keimgehalt der Milch gibt es Grenzwerte, die eingehalten werden müssen. Außerdem wird Milch bei uns pasteurisiert. Das verringert den Keimgehalt der Milch auf ein Niveau, das gesunden Menschen nichts ausmacht.

miss: Schädigen die in der Milch enthaltenen Fette tatsächlich das Herz?

Julia Pabst: Tierische Fette enthalten besonders viele gesättigte Fettsäuren, und diese wurden in Studien mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Mittlerweile wurden diese Aussagen entschärft: Milch enthält auch gute Fette, sogenannte CLA-Fette (konjugierte Linolsäure), die sogar positiv auf das Herz-Kreislauf-System wirken sollen. Auch die Fütterung der Kühe hat einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Fettqualität der Milch. Trotzdem sind von Natur aus fettarme Milchprodukte zu bevorzugen, beispielsweise Buttermilch oder Magertopfen wenn es um ein langfristiges Gewichtsmanagement geht. Denn Übergewicht wirkt sich definitiv negativ aufs Herz-Kreislaufsystem aus.

miss: Stichwort Kalzium: Ist Sojamilch eine adäquate Alternative zu herkömmlicher Kuhmilch?

Julia Pabst: Den meisten Sojadrinks ist Calcium zugesetzt, damit sie der Zusammensetzung von Kuhmilch näher kommen. Das ist auf der Packung deutlich sichtbar vermerkt. Weitere Quellen für Calcium abseits von Milchprodukten sind grüne Gemüsesorten (Spinat, Wirsing, Brokkoli), diverse Nüsse und Samen (Sesam, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne) und Vollkornprodukte sowie Hülsenfrüchte (Linsen, Bohnen).

miss: Stimmt es, dass 75 Prozent der Weltbevölkerung laktoseintolerant sind?

Julia Pabst: Die Menschheit konsumiert seit etwa 10.000 Jahren Milch. Ein Teil der Weltbevölkerung hat sich daran gewöhnt, Milchzucker zu verdauen. Vor allem im hohen Norden (Skandinavien) vertragen die Menschen sehr gut Milch. Im Süden dagegen und im asiatischen Raum gibt es fast ausschließlich Menschen, die Milch auf Grund des Gehalts an Laktose nicht vertragen. Weltweit ist die  Laktoseintoleranz also eher die Regel, es gibt aber ein Nord-Süd-Gefälle. Wir Österreicher liegen dabei im Mittelfeld: bei uns vertragen etwa 15-25% der Menschen keine Milch.

miss: Welche gesunden Alternativen gibt es zu Kuhmilch – und warum?

Julia Pabst: Alternativen zur Kuhmilch gibt es mittlerweile viele. Diese Produkte müssen Kuhmilch auch nicht gänzlich ersetzen, können aber für Vielfalt am Speiseplan sorgen. Dadurch wird auch die Versorgung an Nährstoffen optimiert.

Sojadrinks kommen der Zusammensetzung von Kuhmilch sehr nahe was den Eiweiß-, Fett- und Zuckergehalt betrifft. Ich empfehle allerdings, die Natur-Variante kaufen, denn Sorten mit Schoko oder Vanille enthalten große Mengen an Zucker und sind eher als Süßigkeit einzustufen. Neuer am Markt sind Mandeldrinks, und auch Drinks auf Getreidebasis (Hafer, Reis, Dinkel) bereichern das Sortiment. Diese Produkte haben je nach Hersteller eine sehr unterschiedliche Zusammensetzung. Vor allem wenn man sich kalorienbewusst ernährt, sollte man die Nährwerte und vor allem den Gehalt an zugesetztem Zucker checken.

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Julia Pabst ist Ernährungsberaterin bei www.resize.at.