Wenn es nach Chlor riecht, ist viel Urin im Wasser
„Wenn es stark nach Chlor riecht, heißt das, dass viel Harnstoff ins Wasser eingetragen wurde“, sagt Alexander Kämpfe, Fachgebietsleiter für Schwimm- und Badebeckenwasser beim Umweltbundesamt (UBA). Chlor geht schnell Verbindungen mit anderen Stoffen ein. Aus dem geruchlosen „freien“ Chlor und dem ebenfalls geruchlosen Harnstoff wird „gebundenes“ Chlor: zum Beispiel Trichloramin, das sehr stark riecht. Je mehr Harnstoff, desto mehr Trichloramin, desto mehr Schwimmbadgeruch.
Chlor dient dazu, Krankheitserreger abzutöten. Standard sind zwischen 0,3 und 0,6 Milligramm pro Liter Wasser. Die richtige Dosis sei abhängig von einer ganzen Reihe von Faktoren, erklärt Jörg Rosbach von den Frankfurter Bäder-Betrieben. Wie ist die Wasserqualität? Wie viele Schwimmer sind im Wasser? Wie leistungsfähig ist die Aufbereitungsanlage? Scheint die Sonne? Chlor baut sich unter UV-Strahlung leichter ab. Ein großer Teil des Harnstoffs im Badewasser stammt vom Urin: von Kleinkindern, inkontinenten Älteren oder Schwimmern, die zu faul sind, zur Toilette zu gehen. Ein paar Tropfen verliere auch jede gesunde Blase, erklärt Rosbach. Weiterer Harnstoff kommt von der Körperoberfläche: Er ist ein Hautbestandteil – und wird beim Schwimmen ausgewaschen.
„Einmal ins Becken pinkeln trägt etwa sechs Gramm Harnstoff ins Becken ein“, erklärt Kämpfe. „Das entspricht der Menge von fast 40 Badenden, die den Harnstoff nur über die Haut eintragen.“ Das Umweltbundesamt hat es ausgerechnet: Pro Badegast gelangen durchschnittlich 0,16 Gramm Harnstoff ins Wasser.
Wie reduziert man die Belastung? Die wichtigste Regel – außer zur Toilette zu gehen – lautet: vor dem Schwimmen duschen. „Gründliches Duschen entfernt 75 bis 97 Prozent des Harnstoffs“, informiert das Umweltbundesamt in einem Infoblatt für Schwimmbäder. Auch bei den Frankfurter Bäder-Betrieben weiß man das natürlich, aber zwingen will man niemanden. „Das sind ja BadeGÄSTE“, betont Rosbach, bei 14 Frankfurter Bädern zuständig für Technik und Bau.
Darum müssen die Badbetreiber weiterhin das wieder rausholen, was die Badenden eintragen. „Je mehr Leute da sind, desto größer ist die Biofracht“, erklärt Rosbach. Forscher aus Kanada haben errechnet, dass in einem 400.000-Liter-Becken 26,5 Liter Urin enthalten sind. Das entspräche einem halben Kübel in einem zwei Meter tiefen Pool von zehn mal 20 Metern.
2014 hatten US-Wissenschafter eine Methode dafür vorgestellt, Becken-Pinkler in flagranti zu ertappen: Mit Zink-Ionen im Wasser entsteht aus einem Nebenprodukt von Urin und Fäkalien ein Stoff, der unter Schwarzlicht leuchtet. Die Methode sei „kontrovers diskutiert“ worden, sagt UBA-Experte Kämpfe. Man wende sie aus ethischen Gründen nicht an – etwa, um inkontinente Menschen, die ihren Urin nicht halten können, nicht zu diskriminieren.
Ist die stinkende Chlor-Harn-Kombi denn nur eklig – oder auch schädlich?
„Das kommt auf die Konzentration an und darauf, wie empfindlich man ist“, sagt Hermann Josef Kahl, Sprecher des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte. Trichloramin könne Atembeschwerden hervorrufen – das kann für Asthmatiker gefährlich sein. Es reize die Augen sowie die Schleimhäute in Nase und Rachen.
„Chlor ist in Ordnung“, betont der Kinderarzt aus Düsseldorf aber, „ohne Chlor wären die Gefahren größer“. Gegen rote Augen helfe eine Schwimmbrille und Schleimhaut-Reizungen gingen in der Regel wieder weg. Bäder-Techniker Rosbach würde „bedenkenlos überall baden“: Die Aufbereitungsanlagen seien heute sehr leistungsfähig. Und ob ein Bad seinen Wasserreinigungspflichten nachkomme, könne der Gast ja ganz leicht erkennen: „Wenn Sie das Schwimmbad schon im Eingang riechen, dann ist was faul.“