„Habe ich Lippenstift auf meiner Nase?“, fragt Taylor Swift, und sofort ist das Eis gebrochen. Die Situation wirkt vertraut und fast so liebenswert wie der Playsuit mit Peter-Pan-Kragen, den sie trägt. Ähnlich wie ihre gut gefüllten Konzerte in diesem Jahr fühlt sich unser Gespräch an wie die Übernachtung bei einer Freundin mit Liedern voller Geständnisse und „Ich hab dieselben Probleme wie du“-Textzeilen. Es scheint, als mache sie aus einem Interview einen gemütlichen Tratsch unter Freundinnen.


Um für einen Moment zynisch zu sein: Taylor Swift könnte gut ein Fake sein.
Sie wirkt in so vielen Belangen rundum perfekt; selbst jetzt, am Ende eines langen Tages im Gespräch mit vielen Journalisten aus der ganzen Welt und nach einer hektischen Woche voller Promo-Termine wirkt sie fast königlich. In der Haltung einer Ballerina sitzt sie in ihrem Sessel, wie jemand, der doppelt so alt ist wie sie, aber mit der Figur eines Supermodels. Gäbe es eine Fokusgruppe, die einen Popstar gestalten sollte, das Ergebnis würde exakt so aussehen wie Taylor Swift!

 

Blicken wir zurück: Sie verkaufte mehr als 40 Millionen Alben, und seit ihr erstes Album vor neun Jahren veröffentlicht wurde, hat sie neben zahllosen anderen Preisen sieben Grammys und elf Country Music Awards gewonnen. In einer Reihe von weiteren Premieren war sie die jüngste Person, die je einen Nummer-1-Hit in den Hot Country Songs der Billboard Charts selbst geschrieben, aufgenommen und produziert hat.

Dennoch, um weiter zynisch zu bleiben, stellt sich die Frage: Wenn die Herstellung eines so erfolgreichen Popstars so einfach war wie bei ihr, warum gibt es dann nur eine Taylor Swift? Ihr aktuelles Album 1989, benannt nach dem Jahr ihrer Geburt, gibt ein paar Antworten auf diese Frage – und beweist, dass die Wahrheit manchmal ganz einfach ist: Taylor Swift ist in ihrer einzigartigen Position, weil sie unglaublich talentiert ist. Die Leute, mit denen sie an 1989 gearbeitet hat – vor allem Max Martin und Jack Antonoff – haben auch mit vielen ihrer Kollegen gearbeitet, aber keiner von ihnen hat solch spektakuläre Ergebnisse erzielt wie Taylor Swift.

 

 

Auf der persönlichen Ebene wiederum scheint sie sehr geerdet. „Ich fühle mich wie ein normaler Mensch, aber ich weiß, mein Leben ist nicht normal“, sagt sie. „Ich habe mich lange an meinem Selbstbewusstsein nach oben gehangelt und bin nicht bereit, das zu verlieren. Es ist das Wichtigste im Hinblick darauf, gesund zu bleiben und weiter ehrliche Songs zu schreiben. Eine ausgewogene Wahrnehmung darüber zu haben, wer ich bin, plus im Visier zu haben, was die Leute denken, wer ich bin: Das hält mich selbst in Balance.“

Vieles auf dem Album 1989 beschäftigt sich genau mit diesem Thema: was sich im Kopf abspielt. Shake It Off zum Beispiel, die erste Single aus dem Album, antwortet direkt ihren Kritikern. Die Zeilen nennen die am häufigsten an ihr geäußerten Kritikpunkte: dass sie nichts im Hirn hat, zu viele Dates hat und nicht tanzen kann. „Der Song sagt, dass es mir völlig egal ist, was die Leute sagen. Ihr denkt, ich tanze furchtbar? Dann schaut euch mal das Video an,“ so Swift trotzig.

 

 

„Die Menschen sind beschäftigt. Ich weiß, sie haben nicht die Zeit oder Energie, um eine komplexe Meinung zu jedem einzelnen Popstar zu entwickeln. Man muss dann einfach akzeptieren, dass einige immer einen falschen Eindruck von dir oder einer vereinfachten Definition dessen haben werden“, sagt sie. „Es ist auch nicht wichtig, dass die Menschen alle Facetten darüber, wie ich mein Leben lebe, meine Ansichten über die Dinge oder wie ich mein Geschäft führe, kennen. Sie haben keine Zeit dafür. Super Fans tun das, aber die meisten wollen bloß einen Song, zu dem sie tanzen, etwas fühlen oder weinen können.“

 

 

In Sachen Kritik ging Taylor Swift sogar einen Schritt weiter und schrieb den Song Blank Space, ein Lied aus der Sicht der Person, von der der Großteil der Medien glaubt, ihn in ihr zu sehen. „Ich schrieb es als Witz. Einige Leute werden feststellen, es ist mit einem Augenzwinkern geschrieben, aber andere werden sagen, es ist die ehrlichste Sache, die ich je geschrieben habe, und dass ich wirklich psychotisch bin. Die Medien haben dieses Bild von mir: dauerverabredet, männer-verschlingend, Jet-setting, eine lästige Person, die Männer braucht, aber dann wieder loswird und Songs über Waffen schreibt“, sagt sie, bevor sie zu singen anfängt: „Weil, Liebling, ich bin ein Albtraum, gekleidet wie ein Tagtraum!“ Und sie ergänzt: „Das ist so weit von der Person entfernt, die ich bin! Wenn ich wirklich dieses Mädchen wäre, würde ich den Song neu schreiben und zu meinem Mantra machen.“

 

Was auch immer man von Swift denkt: Man kann sich sicher sein, dass sie selbst es schon gedacht hat. Es ist sehr beeindruckend, zu sehen, wie eine 25-Jährige so die Kontrolle über ihr Selbstwertgefühl hat – aber es ist auch eine Strategie, die bei ihr als Abwehrmechanismus funktioniert. Zum Beispiel, wenn sie sagt: „Wenn andere Leute über dich lachen oder Witze über dich machen, ist es bei Weitem nicht so lustig, wie wenn du selbst über dich lachst“.

Dann sprechen wir wieder über ihre Karriere. Und die Veränderungen darin. „Es gibt einen Satz, den ich liebe: ‚Wenn du zwei Kaninchen jagst, wirst du beide verlieren.‘ Das ist absolut wahr. Ich habe das oft verwendet, um meine Plattenfirma davon zu überzeugen, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.“ Zum Verständnis: Taylor Swift musste ihre Plattenfirma davon überzeugen, dass es richtig war, etwas zu ändern. Während sie selbst argumentierte, sie mache bereits ihr fünftes Album und es sei notwendig, die Dinge mal anders anzugehen, konterte die Plattenfirma, sie solle nichts reparieren, das nicht kaputt sei. Dieser Kampf hat Spuren hinterlassen. „Ich habe so viel durchgemacht, seit ich Red geschrieben habe, sodass ich das auf mein nächstes Album packen wollte. Welchen Sinn hat es denn sonst, Erfahrungen zu machen, wenn man sie nicht nutzen kann?“, fragt Swift und bringt ihr Mantra gut auf den Punkt: „Ich will mich selbst immer wieder herausfordern und mich begeistern, indem ich einfach nur Musik mache.“