Warum ich keine Karrierefrau sein möchte
Wir bezeichnen uns gerne als fortgeschrittene Gesellschaft, in der alles möglich ist. Im Supermarkt kann man zwischen 27 verschiedenen Müslisorten wählen, ins All fliegen wir seit Jahrzehnten und studieren kann man alles von A wie „Afrikawissenschaften“ bis Z wie „Zoologie“. Aber eine Frau mit Karriere? Die muss doch Haare auf den Zähnen haben und für ihren Job über Leichen gehen oder? Für mich ist eines ganz klar: Ich will keine Karrierefrau sein und der Begriff „Karrierefrau“ sollte meiner Meinung nach keinen Platz in unserem Wortschatz haben.
Mehr als 300.000 Treffer spuckt Google aus, wenn man das Wort „Karrierefrau“ eintippt. Es sind Artikel, die sich damit beschäftigen, warum „attraktive, erfolgreiche“ Frauen keinen Mann haben oder Tipps geben, wie man sich als Karrierefrau doch einen Mann angeln könnte. Aber wer oder was ist eine Karrierefrau eigentlich? Wenn wir an eine Karrierefrau denken, dann haben wir alle ein Bild im Kopf: zum Beispiel das einer Freundin, einer Bekannten oder vielleicht sogar der eigenen Mutter. Per Definition ist eine Karrierefrau eine „Frau, die dabei ist Karriere zu machen, bzw. die eine wichtige berufliche Stellung errungen hat“, wie der Duden verrät. Klingt doch gut, oder? Blöderweise gibt es auch den Nachsatz: „Frau, die ohne Rücksicht auf ihr Privatleben, ihre Familie ihren Aufstieg erkämpft [hat]“. Autsch.
Erfolgreiche Männer sind cool
Gehen wir die Sache mal aus einem anderen Blickwinkel an. Erfolgreiche Männer sind „ambitioniert“ und „ehrgeizig“, sind „Unternehmer“ mit „Potenzial“. Schließt das ein intaktes Familienleben aus? Nein. Erfolgreiche Männer sind natürlich auch Familienmenschen. Mit einer Frau in der gleichen Position würde man eher die Wörter „berechnend“, „kühl“ oder „karrieregeil“ assoziieren – eine Frau mittleren Alters in grauem Bleistiftrock und einem biederen Dutt. Kinder wurden der Karriere zuliebe „geopfert“, außerdem hätte man(n) es mit so einer Frau ohnehin nicht ausgehalten. Was ich damit sagen will: Erfolgreiche Männer sind cool, erfolgreiche Frauen eher weniger. Findet zumindest unsere Gesellschaft. Karriereambitionen sind toll – vor allem aber dann, wenn sie von einem Mann kommen. Und bitte versteht das nicht falsch: es geht hier nicht um ein Männer-Bashing. Es geht darum, dass Männer gerne Karriere machen dürfen und dafür noch gefeiert werden, Frauen aber nicht.
„Karrierefrauen“, die speziellen Frauen
Auch das Internet ist der Auffassung, dass „Karrierefrauen“ eine eigene Spezies sind. Es finden sich dutzende Seiten, die Dating-Tipps für „Karrierefrauen“ geben. Die erklären, Frau möge ihm Bereiche überlassen „wo er das Sagen hat, das „Konkurrenzdenken im Privatleben“ doch abzulegen oder sich eine „willkommene Auszeit von der Arbeit“ zu nehmen. So weit, so ungut. Spannend sind auch jene Artikel, die berichten, dass Karrierefrauen nach Jahren des Erfolgs nun doch ihr Glück im Haus im Grünen mit Mann und Kind gefunden hätten. So in die Richtung: Hallo liebe Karrierefrau! Es gibt Hoffnung – ihr müsst euch nur ändern und bemühen. An einem Haus im Grünen, Kindern und einem Mann ist ja eigentlich nichts falsch. Frau muss es aber wollen. Zu suggerieren, dass nur ein Mann, Kinder und ein Haus im Leben glücklich machen, ist konservativ und ziemlich engstirnig. Frauen, die in beruflicher Hinsicht erfolgreich sind, werden unter anderem durch Medien zu etwas gemacht, das sie nicht sind: unglücklich, einsam, speziell.
Die Gretchenfrage…
…muss daher lauten: Warum braucht es eine „Karrierefrau“ aber keinen „Karrieremann“? Warum ist es unserer Gesellschaft so wichtig, einer Frau, die aus dem ihr zugeschriebenen Rollenbild ausbricht, ein Wort zu geben? Tatsache ist, dass wir das Wort „Karrierefrau“ verwenden, wenn Frauen jobtechnisch etwas hingekriegt haben. Ein männliches Pendant zu diesem Wort gibt es de facto nicht. Niemand würde auf die Idee kommen, einen im Job erfolgreichen Mann „Karrieremann“ zu nennen. Warum auch? Es wird ja vorausgesetzt, dass Männer im Beruf Erfolg haben (wollen). Wir leben in einer Welt, in der Männer machen und Frauen zusehen sollen. Einer Welt, in der Männer Dinge entdecken und Frauen davon inspiriert sein sollen. Einer Welt, in der Männer noch immer Spielregeln festlegen dürfen und Frauen sich daran halten sollen. Und ja, über die letzten Jahre hat sich in Punkto Gleichstellung einiges getan. Deswegen dürfen wir aber nicht ignorieren, womit wir es noch immer täglich zu tun haben: strukturellen Problemen. Keine individuellen. Ungerechtigkeit widerfährt nicht einer Frau in einem bestimmten Umfeld, sondern vielen Frauen überall. Die Augen vor Problemen zu schließen, die uns womöglich zu komplex erscheinen, um sie zu lösen, bringt nichts. Kein Mensch sollte in eine Rolle gezwängt werden. Ich will keine „Karrierefrau“ sein. Genauso wenig möchte ich „Hausfrau“ oder „die Frau von“ sein. Eine Möglichkeit ist es, darauf zu warten, dass Frauen im Job genauso geschätzt, ernstgenommen und bezahlt werden wie Männer. Das könnte Jahre dauern oder auch Jahrzehnte. Und das ist mir a) schlichtweg zu lange und b) ist die Situation zu blöd, um darüber hinwegzusehen. Was also tun? „Karrierefrauen“ aus dem Wortschatz streichen und neue, bessere (gesellschaftliche) Spielregeln definieren. Für sich selbst und für andere.