Warum bleiben wir in einer Beziehung, wenn wir den anderen nicht mehr lieben?
Ich habe mich schon immer gefragt, warum es Menschen gibt, die an etwas festhalten, dass sie nicht mehr glücklich macht. Dass es nicht immer eine Beziehung sein muss, ist mir bewusst. Dennoch häufen sich die Geschichten, in denen ich von einer Seite höre, dass sie eigentlich schon länger nicht mehr wollte. Dass sie sich trennen wollte, es aber nicht getan hat – warum auch immer.
Ich habe mit zwei Menschen gesprochen, die in genau dieser Situation waren. Ich wollte von ihnen wissen, ob es andere Gründe gibt, als Liebe, die einen die eigene Beziehung einfach nicht loslassen lässt. Und, was passieren muss, damit man es irgendwann vielleicht dennoch tut.
Freundschaften, die gleichzeitig zerbrechen
Sophie* erzählt mir von ihrer ersten Beziehung, in der nach einem halben Jahr klar war, dass sich etwas verändert hat. Auch, wenn es beide nicht ausgesprochen haben, wussten sie, dass es nicht mehr das ist, was es einmal war. Sie hat gemerkt, dass sie ihn nicht mehr liebt. Warum das so ist, weiß sie nicht. Aber Liebe kann vergehen, Freundschaft bleibt trotzdem. Und genau das war eines der Probleme, die für sie mitspielten. Sie liebte ihn nicht mehr als ihren Partner, aber immer noch als Freund. Und ihn verlieren, als Menschen in ihrem Leben, das wollte sie nicht. Also entschied sie sich dazu nicht den Schritt zu gehen, der alles verändern würde. Bei dem sie gewusst hätte, dass sie ihn nie wieder sehen würde. Zumindest nicht so oft, wie es sich in einer Freundschaft eigentlich gehört.
Auch Hanna* wusste, dass sich vieles ändern wird, wenn ihr Freund und sie sich trennen. Und genau das passierte auch. Als er sich von ihr getrennt hatte, entschied sie sich aus all den WhatsApp Gruppen auszusteigen, in der er, seine Freunde und sie waren. Immerhin waren es eigentlich seine Freunde, auch wenn es mittlerweile auch ihre waren. Also verlor sie nicht nur ihren Partner, sondern auch weitere Menschen in ihrem Leben, die sie so nicht missen möchte – eigentlich. Aber Hanna braucht einen klaren Cut, der sie durch die Trennung gehen lässt.
Die Angst, dass sich alles verändert
Beide erzählten mir, dass sie Angst hatten, dass sich vieles ändern wird. Sophie hatte mit ihrem Freund nicht Schluss gemacht, obwohl sie ihn nicht mehr liebte, weil sie nicht damit umgehen wollte, was danach kommen wird. Sie war gewohnt, dass er an ihrer Seite ist. Sich jetzt vorzustellen, dass sich das ändert und dann anschließend mit den Konsequenzen zu leben, war keine Option. Auch, wenn sie womöglich genau das wollte: Nicht mehr mit der Person zusammen sein, die man nicht liebt, sondern offen für Veränderung sein, egal, wie schwierig das ist. Aber es braucht viel Kraft etwas zu ändern, dass einen solch großen Einfluss auf sein eigenes Leben hat. Sophie hat das nicht geschafft, auch, weil sie noch jung gewesen ist und es nicht besser wusste. Sie hat gewartet, bis er sich von ihr getrennt hatte, weil sie wusste, dass sie es niemals schaffen würde, aktiv die Beziehung zu beenden. Weil sie, trotz fehlender Liebe, Angst hatte, was danach kommen würde.
Als Hanna von ihrem Freund verlassen wurde, traf sie das. Sie hatten vor langer Zeit geplant, dass sie zusammenziehen und je mehr Zeit verging, desto eher wollte sie wissen, wann es endlich passieren würde. Sie machte ihm keinen Stress, sondern erinnerte ihn nur daran, was der eigentliche, gemeinsame Plan war. Aber er blockte ab, Kommunikation funktionierte immer schlechter und sie merkte, dass er sich distanzierte. Sie beschloss Klartext zu reden und wollte wissen, was er denkt. Das war das erste Mal seit langem, dass er sich öffnete und ihr sagte, dass er nicht zusammenziehen möchte. Und, dass er sich das einfach nicht vorstellen kann. Für Hanna galt das als Vertrauensbruch und sie merkte, dass, obwohl er noch mit ihr zusammen geblieben wäre, es nicht mehr das war, was es hätte sein sollen. Dass er sich in der letzten Zeit von ihr entfernt hat. Auch ist sie sich sicher, dass er sie nicht mehr geliebt hat. Aber, dass er Angst hatte, dass sich alles verändert und deswegen sich nicht trennen wollte. Hanna erzählt mir, dass er ein Mensch ist, der Gewohnheit zelebriert und immer den einfachsten Weg geht. Sie sagt, wenn sie sich nicht den letzten Schritt gemacht hätte, wäre er noch immer mit ihr zusammen.
Man muss wieder lernen, alleine sein zu können
Sophie weiß, dass es auch daran lag, weil sie nicht alleine sein wollte – oder konnte. Wenn man in einer Beziehung ist, dann gibt es da immer eine andere Person, die auch da ist. Auch, wenn sie manchmal nicht im Raum ist, ist sie dennoch nie weg. Und dann, ganz plötzlich, gibt es da niemanden mehr. Das ist eine Sache, an die man sich wieder gewöhnen muss. Und manche Menschen nehmen lieber eine unglückliche Beziehung in Kauf, anstatt alleine sein zu müssen. Einfach, weil sie vergessen haben, dass es schön sein kann. Und, weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und nur das möchte, was er kennt.
Reden, Reden, Reden
Als ich mit beiden gesprochen habe, ist mir eines aufgefallen: Die Kommunikation hat gefehlt. Einerseits bei Sophie, bei der beide wussten, was abgeht, aber niemand darüber sprach. Andererseits bei Hanna, die es zwar versucht hatte, ihr Freund aber stets abgeblockt hat. Hanna meint auch, dass es um einiges weniger schlimm gewesen wäre, hätte er von Anfang an darüber gesprochen, wie er sich fühlt. Sie glaubt auch, dass eine offene Kommunikation die Lösung für jede Krise ist, die man in einer Beziehung haben kann. Auch denkt sie, dass man von einem Punkt, an dem es so wirkt, als wär die Beziehung zum Scheitern verurteilt, wieder zu dem kommen kann, wie es anfangs gewesen ist – durch Reden.
*Name von der Redaktion geändert.