Verzicht auf soziale Medien: Warum ich in dieser Zeit viel über mich gelernt habe
Wenn der Mensch ein Gewohnheitstier ist, bin ich der Stein, der diese Metapher überhaupt ins Rollen gebracht hat. Das bedeutet so viel, wie: auf Dinge, an die ich mich gewöhnt habe, möchte ich nicht mehr verzichten. Auch wenn sie teilweise schlecht für mich sind. Und ich glaube, dass soziale Medien, in dem Ausmaß, den ich damals konsumiert habe, sehr schlecht für mich waren. Irgendwann wusste ich, dass man genau die Dinge tun muss, bei denen man sich sicher ist, dass man sie sowieso nicht schafft. Nur damit man sich beweisen kann, dass man recht hatte – oder eben nicht.
Ich fasste den Entschluss auf alle sozialen Medien zu verzichten, die mich irgendwie unterhielten. Alle, auf denen ich die meiste Zeit verbrachte und die, bei denen ich wusste, dass ich sie eigentlich wirklich nicht brauchte.
Was waren die Gründe, wieso ich verzichtete?
Ich habe mehr Zeit auf sozialen Medien verbracht, als ich eigentlich glauben möchte. Es passiert schnell, dass man in jeder freien Minute einmal durch sein Feed scrollt. Einfach nur um sich zu erfüllen. Nur, dass man sich ja keine Sekunde mit sich selbst beschäftigen muss. Kann ich das überhaupt noch? Mich selbst unterhalten und beschäftigen? Ist es noch eine Sache der Möglichkeit, mit meinen Gedanken einmal lange, ausgiebig und intensiv alleine zu sein, ohne, dass mich diverse Benachrichtigungen daran erinnern, wie viele unterschiedliche Profile ich bereits habe?
Wenn wir ehrlich sind, dann haben wir mittlerweile verlernt, einfach mal nichts zu tun. Da sitzen, im Moment zu verweilen, sich seinen Gedanken hingeben und sich von nichts ablenken zu lassen. Ich wollte wissen, ob ich es noch schaffe. Wie es sich anfühlt nicht die Möglichkeit zu haben, in soziale Medien einzutauchen, wenn mich die Langeweile packt.
Ändert sich meine Selbstwahrnehmung, wenn ich auf soziale Medien aufgebe?
Auf der anderen Seite wollte ich wissen, ob sich meine Wahrnehmung ändert, wenn ich mich von allen Profilen abmelde. Macht es was mit mir, wenn ich nicht ständig perfekte, unrealistische Meschen online sehe? Wenn ich nicht mehr sehe, wie sich jede zweite Werbung mit der Objektivierung der Frau beschäftigt? Wenn mir nicht mehr von allen Seiten suggeriert wird, wie eine Frau auszusehen und zu sein hat. Ich wollte herausfinden, ob soziale Medien meine Selbstwahrnehmung so sehr prägen, dass ich ohne sie, ein vollkommen anderes Körpergefühl entwickle.
So war es, als ich mich von allen Seite abmeldete
Ich löschte Facebook, Instagram und Twitter. Nur die App, aber nicht mein gesamtes Profil. Immerhin wusste ich, dass aus einem Versuch, nicht zwingend eine lebenslange Entscheidung werden musste. Falls doch, konnte ich meine Profile immer noch löschen. Ich deaktivierte meine Seiten so, dass Leute, die mit mir befreundet oder mich abonniert hatten, mein Profil nicht mehr sahen. Wenn ich mich wieder anmeldete, war es jedoch so, als wär ich nie weg gewesen.
Die ersten Tage
Ich merkte schnell, dass meine Finger fast automatisch dorthin wanderten, wo früher die Apps waren. Es war für mich eine normale Sache jedes Mal Instagram durchzustöbern, nachdem ich auf Whatsapp eine Nachricht verschickt habe. Es war fast schon natürlich, Facebook aufzurufen, wenn ich damit fertig war, meine Mails zu checken. Dinge, die ich jetzt nicht mehr tun konnte. Ich merkte, dass sich mein Gehirn erst daran gewöhnen musste. Denn die Fingerbewegungen hielten die ersten zwei, drei Tage an. Und genau das zeigte mir, dass der Verzicht auf soziale Medien längst notwendig war.
In der ersten Woche merkte ich, dass ich mehr Zeit hatte. Ich gebe es nicht gern zu, aber nach dem Lernen sich von seichten, unterhaltsamen Beiträgen berieseln zu lassen, fehlte mir. Und die neue Zeit, die ich jetzt zur Verfügung hatte, nutze ich nicht produktiver als davor. Ich dachte mir nicht: Ach, jetzt habe ich keine sozialen Medien mehr, wieso lerne ich nicht einfach mal eine Runde. Viel eher verbrachte ich viel Zeit damit, mich mit mir zu beschäftigen. Ich las, schrieb und war mit meinen Gedanken alleine. Eine angenehme Angelegenheit, die ich davor lange nicht mehr getan habe. Denn du bist erst dann mit dir selbst alleine, wenn du es wirklich bist – und nicht mit hundert, virtuellen Menschen.
Als ich begann, mich daran zu gewöhnen
Nach zwei, drei Wochen gewöhnte ich mich komplett daran. Ich glaube, ich habe bis auf die ersten zwei Tage, soziale Medien nie wirklich aktiv vermisst. Also so richtig, dass ich das Gefühl hatte, ich würde es nicht mehr schaffen, darauf zu verzichten. Aber nach den ersten Wochen merkte ich, dass ich mir kaum noch vorstellen konnte, wie es davor gewesen ist. Man gewöhnt sich so schnell an so viele Dinge, dass ich es kaum nachvollziehen kann, wie das eigentlich möglich ist.
Die Zeit, die ich auf meinem Handy verbrachte, beschränkte sich ausschließlich darauf, wenn ich auf Nachrichten antwortete oder, wenn ich ein Lied auf meiner Spotify Playlist änderte. Mehr auch nicht. Mein Akku, der früher einen halben Tag gereicht hatte, schaffte jetzt ganze 24 Stunden. Ich war mit meinen Gedanken überall, wo ich davor nicht gewesen bin. Dinge, über die ich mir davor Gedanken gemacht hatte, waren jetzt nicht wichtig. Und ich hatte auch nicht mehr das Gefühl, ich müsste, nur weil ich mir einbildete, dass es wieder an der Zeit ist, ein Bild posten. Eines, dass vielleicht nur gemacht wurde, weil man es teilen möchte. Ich merkte, wie viel Kraft und Bemühung hinter sozialen Medien stecken können, wenn man sich darauf einlässt. Sie nehmen viel Raum an – auch in einer nicht virtuellen, Offline-Welt.
Aber je mehr Zeit verging, desto mehr wurde mir klar, dass es nicht nur gute Dinge mit sich bringt, wenn man auf soziale Medien verzichtet. Ich verpasste Einladungen auf Facebook, gepostete Ereignisse und Nachrichten, die mir wichtig gewesen wären. Aber am meisten schmerzte es, dass ich viel weniger Ahnung davon hatte, was in der Welt passiert. Ich habe erst als ich darauf verzichtete, verstanden, wie sehr mich soziale Medien informieren. Für gewöhnlich lese ich unzählige Artikel von unterschiedlichen Medien – täglich. Als ich begonnen hatte auf Facebook & Co zu verzichten, fast keine. In Gesprächen, die ich in diese Zeit führte, merkte ich, dass ich fast nicht mitsprechen konnte. Und klar, ich bin auch direkt auf Internetseiten gegangen, die darüber geschrieben haben, was zurzeit in der Welt passiert, aber es war dennoch anders.
Auf Facebook hast du eine breitgefächerte Auswahl an unterschiedlichen Plattformen, die unterschiedlich darüber schreiben und Menschen, mit denen du befreundet bist, die ihrer Meinung öffentlich kund tun. Etwas, das du auf Google wahrscheinlich nicht findend wirst.
Soziale Medien-Verzicht: Mein Fazit
Ich finde, dass die Zeit, in der ich darauf verzichtet habe, wichtig gewesen ist. Ich habe gelernt, dass man mehr mit sich alleine sein sollte, sein Handy weglegen muss um einmal nicht für jeden erreichbar zu sein. Dass sich seine Gedanken ändern, andere Dinge wichtiger werden und man versteht, dass ein großer Konsum von Medien den Alltag ändert und beeinflusst. Ich finde es wäre wichtig, dass man, wenn man nicht komplett darauf verzichten will, regelmäßige Pausen einlegt. Selbst wenn man sich damit nur beweisen muss, dass man es kann. Man sollte sich immer daran erinnern, wie wichtig es ist, auch Langeweile genießen zu können.