Türkei: 90.000 Häftlinge entlassen, politische Gefangene bleiben inhaftiert
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie hat das Parlament in der Türkei nun einen umstrittenen Gesetzesentwurf genehmigt. Demnach sollen zehntausende Gefängnis-Insassen freigelassen werden. Politische Häftlinge sind davon nicht betroffen.
Das Gesetz sieht die Freilassung von rund 90.000 Insassen aus überfüllten Gefängnissen aufgrund der Gefahr der Ausbreitung des Coronavirus vor.
Türkei: Gesetz zur Freilassung Gefangener
In einer offiziellen Twitter-Botschaft des türkischen Parlaments hat man bekannt gegeben, dass der Gesetzesentwurf zur Freilassung zehntausender Strafgefangener wegen des Coronavirus von den Abgeordneten angenommen wurde. Damit sei der Entwurf „zu Gesetz geworden“. Menschenrechtsgruppen hatten scharfe Kritik an dem Gesetzesentwurf geübt, weil er politische Gefangene nicht einschließt.
Das Gesetz sieht nun die Freilassung von etwa 90.000 Insassen aus überfüllten Gefängnissen vor. Hintergrund ist die große Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus. Kurz vor der Parlamentsdebatte hatte Justizminister Abdülhamit Gül den Tod von drei Gefängnisinsassen infolge einer Coronavirus-Infektion bekannt gegeben. Laut offiziellen Angaben haben sich zudem 17 Freigänger aus fünf Gefängnissen mit dem Virus infiziert.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren neues Gesetz in der Türkei
Von der Freilassung ausgenommen sind Mörder, Sexualstraftäter, aber auch politische Gefangene, die nach den umstrittenen Anti-Terror-Gesetzen der Türkei angeklagt sind. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte das Vorhaben deshalb stark kritisiert. Die Schriftstellervereinigung PEN fordert zudem, angesichts der unhygienischen Zustände in vielen türkischen Gefängnissen auch inhaftierte Journalisten und Menschenrechtsaktivisten freizulassen.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International stimmten 279 der Abgeordneten für das Gesetz, 51 dagegen. Kein einziger Änderungsantrag der Opposition sei angenommen worden, schrieb die Amnesty-Aktivistin Milena Buyum auf Twitter. Ein Teil der 90.000 Insassen soll generell aus der Haft entlassen werden, die anderen will man unter Hausarrest stellen.
Präsident Erodgan und die Menschenrechte
Es ist nicht das erste Mal, dass die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Kritik steht. Denn unter Erdogans Präsidentschaft wurden in der Türkei zunehmend demokratische und rechtsstaatliche Standards eingeschränkt. Seit dem Putschversuch 2016 geht man außerdem vermehrt gegen kritische Journalisten vor. Viele wurden aufgrund ihrer Berichterstattung zu teils langjähriger Haft verurteilt, einige warten seit Jahren auf ihre Urteile oder wehren sich in Berufungsinstanzen gegen Haftstrafen.
Auch während der Coronavirus-Pandemie sorgte das Krisenmanagement der türkischen Regierung international für Aufregung. Erst hatte man die Bevölkerung in dem Glauben gelassen, das Land sei für den Kampf gegen das Coronavirus gut gerüstet. Zu zögerlich ergriff die Regierung schließlich Maßnahmen, die in anderen Ländern bereits Wirkung zeigten. Die Neuinfektionen in der Türkei steigen aber rasant an. Am 10. April kündigte die Regierung am Abend kurzfristig Ausgangssperren für zwei Drittel der Bevölkerung an. Daraufhin eilten die Menschen in die Supermärkte, um sich mit Lebensmitteln und Getränken einzudecken. Vor den Eingängen drängten sich die Menschen dicht an dicht. Das Chaos brachte Innenminister Süleyman Soyl dazu, seinen Rücktritt anzukündigen.
Erdogan lehnt Rücktritt von Innenminister ab
Die Vorfälle kurz vor Inkrafttreten der Anordnung entsprächen nicht einem perfekten Krisenmanagement, teilte Soylu auf Twitter mit. Präsident Recep Tayyip Erdogan nahm das Rücktrittsangebot nicht an. Soylu werde sein Amt weiter ausüben, erklärte das türkische Präsidialamt.
In der Türkei gibt es mehr als 61.000 Corona-Infizierte, etwa 1.300 Menschen sind bisher an der vom Virus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Wegen der Pandemie gelten in dem Land strenge Ausgangsbeschränkungen.