Sprechender Penis und neu aufgewärmtes Trauma: Wie viel darf „Pam & Tommy“ zeigen?
Am 2.2. startete auf Disney Plus die neue Serie „Pam & Tommy“. Darin wird die Hintergrundgeschichte von Pamela Andersons Sextape erzählt. Doch genauso wie das Sextape in den 90ern wird auch die Serie scheinbar gegen Pamelas Willen veröffentlicht.
Denn diese stellt sich seit Beginn gegen die Serie.
„Pam & Tommy“ zeigt Romanze der 90er
Es ist „die größte Liebesgeschichte, die je verkauft wurde“. Mit diesem Teaser bewerben Hulu und Disney Plus die neue Serie „Pam & Tommy“. Und wie der Name schon vermuten lässt, geht es darin um eines der absoluten It-Pärchen der 90er-Jahre: Pamela Anderson und Tommy Lee.
Was heute Paare wie Megan Fox und Machine Gun Kelly oder Kourtney Kardashian mit Travis Barker auf Instagram und Co. inszenieren, lebten die beiden Mitte der 90er-Jahre vor. Denn der Baywatch-Star und der Mötley Crüe–Drummer verkörperten den Rock ’n‘ Roll Chic wie kein anderes Paar. Das beweist schon ihr Kennenlernen.
Denn als Tommy Lee Pamela in einem Club sieht, geht er direkt auf sie zu – und schleckt ihr Gesicht ab. Was folgt, ist eine Romanze im Schnelldurchlauf – inklusive überraschender Strandhochzeit in Cancun. Doch die Liebesgeschichte der beiden erhält einen drastischen Einschnitt, als das Sextape, das sie während ihrer Flitterwochen aufnehmen, 1995 gegen ihren Willen veröffentlicht wird und für das erste „virale“ Video der Geschichte sorgt.
Hintergründe des geleakten Sextapes
All das thematisiert die neue Serie im Detail und zeigt auch die Hintergründe der Veröffentlichung. Denn das Sextape wurde direkt aus dem Haus der beiden gestohlen. Und zwar von Rand Gauthier – einem Handwerker, der für seine Arbeit im Haus der beiden nicht bezahlt wurde und sich rächen wollte.
Er stahl deshalb den Safe von Tommy Lee, in der Hoffnung, Schmuck, Geld und Pistolen zu finden. Als er jedoch das Sextape der beiden entdeckt, beschließt er, es online anzubieten und verkauft zunächst Kopien der VHS-Kassette über das Internet.
Während Rand glaubt, mit dem Video zu endlosem Reichtum zu gelangen, versucht Pamela in der dritten Folge der Serie einfach nur, ihr Leben zu sortieren, eine Familie zu gründen und als ernstzunehmende Schauspielerin durchzustarten.
„Pam & Tommy“: Perfektes Casting und 90s-Stimmung
Perfektes Material für eine Serie, oder? Jein. Denn so unterhaltend „Pam & Tommy“ auch ist, so kritisch ist es, dass es die Serie überhaupt gibt.
Aber fangen wir einmal beim Positiven an: Es hätte vermutlich keine bessere Besetzung geben können. Denn Lily James sieht Pamela zum Verwechseln ähnlich und imitiert auch ihre Gesten, Mimik sowie ihre Stimme perfekt. Medienberichten zufolge musste James bis zu vier Stunden am Tag in die Maske, um den Pamela-Look zu perfektionieren; inklusive Zahn- und Stirnprothesen sowie Augenbrauenperücken.
Sebastian Stan brilliert währenddessen als derber Tommy Lee, der hinter seiner harten, brutalen Schale eigentlich einen richtigen Softie mit Hang zur Romantik verbirgt.
Tommy Lees sprechender Penis
Die Handlung ist aufregend, schnelllebig und teilweise ganz schön absurd. Denn wenn Tommy Lee mit seinem entblößten Penis darüber spricht, dass Pamela seine Traumfrau ist und dieser ihm tatsächlich antwortet, erkennt man ganz klar, dass hinter dem Projekt auch Seth Rogen als ausführender Produzent steckt, der zusätzlich die Rolle des Rand übernimmt.
Denn der teils derbe Humor, der immer wieder durchsackt, ist ein Markenzeichen für Rogen, das man auch in seinen anderen Projekten wie „Sausage Party“ erkennt. Aber auch, wenn die Szene mit dem sprechenden Penis ein bisschen irritierend ist, passt sie zu dem Rockstar-Image und der Atmosphäre der Serie. Und entfernt sich auch gar nicht so weit von der Realität. Denn in seinen Memoiren war Tommy Lees Penis tatsächlich ein handelnder Protagonist.
Die 90er-Stimmung in „Pam & Tommy“ ist kaum zu übertreffen. Denn seien es die großartigen Kostüme, der Soundtrack voller 90er-Hits oder die Dialoge mit extremem Nostalgie-Faktor („Ich bin jetzt seit über einem Jahr im Internet, es ist erstaunlich, was man dort alles finden kann“): „Pam & Tommy“ ist es gelungen, ein Stück 90er-Jahre wiederauferstehen zu lassen, ohne es zu künstlich aussehen zu lassen.
Pamela Anderson ist nicht beteiligt
Es könnte also so schön sein: Aufregender Plot, beeindruckende Kostüme, absurde Witze. Wäre da nicht ein ziemlich ausschlaggebendes Problem an der Serie. Weder Pamela Anderson, noch Tommy Lee sind an dem Projekt beteiligt.
Während Tommy Lee sich mittlerweile aber positiv zu der Serie äußert und im Gespräch mit Sebastian Stan steht, hat sich Pamela komplett von dem Projekt distanziert. Gegenüber Entertainment Tonight erklärt eine ihr nahestehende Quelle etwa, dass die Serie „sehr schmerzhaft für Pamela Anderson und für jeden, der sie liebt“ sei.
„Es ist schockierend, dass diese Serie ohne ihre Zustimmung gedreht werden darf“. Denn für Pamela sei die Geschichte immer noch sehr traumatisierend. „Pamela bereut nichts in ihrem Leben“, so die Quelle, „aber das Einzige, was sie wahrscheinlich auslöschen würde, ist dieser Einbruch. Sie fühlt sich bis heute so verletzt. Es bringt eine sehr schmerzhafte Zeit für sie zurück.“
Auch gegenüber Vanity Fair äußerte sich ein Freund von Anderson zu der Serie und erzählte: „Sie hat eine klare Entscheidung getroffen, die überhaupt keine Zeit in Anspruch genommen hat, um zu entscheiden, dass sie kein Teil davon sein will.“
„Ich wünschte, es wäre anders gewesen“
Eine Tatsache, die Pamela-Darstellerin Lily James bedauert. Denn für sie geht es in der Serie auch darum „den Leuten einen Spiegel vorzuhalten, damit sie ihre eigene Schuld an der Aufrechterhaltung dieses ungesunden viralen Internetverhaltens sehen“, erklärt sie gegenüber IndieWire. „Wir sind alle mitschuldig und müssen bewusster und sensibler werden.“
Auch deshalb wollte sie unbedingt, dass Pamela Anderson an der Serie beteiligt ist. Bis zum Schluss habe sie versucht, sie zu überzeugen – doch ohne Erfolg. „Ich wünschte, es wäre anders gewesen“, sagt James.
Warum darf Pamela ihre Geschichte nicht selbst erzählen?
Umso bedauerlicher also, dass das Projekt ohne sie fortgesetzt wurde. Denn letztendlich ist es Pamelas Geschichte und vor allem ihr Trauma. Denn nach der Veröffentlichung des Videos war es vor allem sie, die medial bloßgestellt wurde und jahrzehntelang im Mittelpunkt unzähliger unpassender, verletzender und sexistischer Witze sowie einer schier endlosen Welle an Slut Shaming stand.
So schön es auch ist, dass Projekte wie „Pam & Tommy“ die Geschichte jener Frauen jetzt geraderücken wollen, die von den internationalen Medien furchtbar behandelt wurden und ein Image aufgestempelt bekamen, das nicht gerechtfertigt war, so wichtig ist es, dass bei eben diesen Klarstellungen jene Frauen das Sagen haben, um die sich die mediale Debatte gedreht hat.
Das beweist etwa die letzte Staffel von „American Crime Story“. Denn in dieser drehte sich alles um den Skandal rund um die Affäre von Bill Clinton und Monica Lewinsky. Lewinsky selbst war bei der Serie Co-Produzentin. Dadurch durfte sie endlich mitbestimmen, welcher Teil von ihrer Geschichte erzählt wird und klarstellen, wie sie die Zeit erlebt hat.
„Pam & Tommy“: Viel Potential aber bitterer Nachgeschmack
Und genau das braucht es auch in diesen Projekten. Denn wenn das Ziel ist, dass die zu Unrecht verletzten und bloßgestellten Frauen ihr Narrativ zurückerobern können, dann müssen eben diese Frauen auch das Recht haben, ihre Geschichte zu erzählen. Und zwar wann, wo und wie sie wollen. Ansonsten bleibt nämlich der bittere Nachgeschmack, dass sich die Geschichte bis zu einem gewissen Grad wiederholt.
Denn so absurd es auch auf den ersten Blick erscheint, letztendlich steht Anderson vermutlich schon wieder vor der furchtbaren Erkenntnis, dass jemand anderes aus ihrer Geschichte Profit schlägt – und zwar ohne ihr Zutun. Was bei einer Serie mit so viel Potential und so vielen Highlights doppelt schade ist.