So fühlt es sich an, die dritte Person in einer offenen Beziehung zu sein
Als sie sich kennengelernt haben, da wusste sie bereits, dass er eine Freundin hat. Anfangs wollten sie nur befreundet bleiben, passiert ist es dann aber trotzdem. Eigentlich kein Problem, er ist in einer offenen Beziehung und etwas Falsches haben sie somit nicht gemacht. Aber stimmt das überhaupt? Linda erzählt, wie es sein kann plötzlich die dritte Person zu sein – in einer Beziehung, die das vielleicht nicht aushält.
Als mir Linda von ihrer Geschichte erzählt, weiß ich gar nicht so recht, wohin mit meinen Gedanken. Und ob ich das verstehe, was sie mir da eigentlich gerade auftischt. Eigentlich nicht, aber irgendwie dann doch. Aber ihr geht es genauso, glaube ich. Zumindest wirkt es so, denn die Verwirrung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Dabei waren es lediglich drei Tage. Keine Zeit, die lange ist oder eine, in der tiefe, wichtige Gefühle entstehen können. Aber drei Tage reichen aus, um Interesse für jemanden zu hegen, komplett verwirrt zu werden und sich zu fragen: Was genau tue ich hier eigentlich?
Er suchte Freunde, sie eine Beschäftigung
Linda ist kein Kind von Traurigkeit. Sie geht auf Dates, verschaut sich hin und wieder in jemanden, hat unverbindliche Bettgeschichten und wahrscheinlich jede Datingapp, die es gibt. Aber irgendwann lernte sie Ben kennen. Er schrieb ihr auf einer Plattform, die dafür da ist, wenn reisende Studenten lokale Leute in einer fremden Stadt kennen lernen wollen. Und um bei ihnen zu übernachten – gratis, versteht sich. Als er ihr schrieb, stellt sich schnell heraus, dass er kein reisender Tourist ist, sondern lediglich auf der Suche nach neuen Bekanntschaften. „Ich bin auf der Suche nach weiblichen Freunden“ schreibt er. Linda findet das seltsam, aber interessant, also verabreden sie sich. Daraufhin folgen die wahrscheinlich intensivsten drei Tage, die Linda je hatte.
Das erste Treffen
Sie treffen sich in einer Bar und Ben sagt ihr gleich, dass er eine Freundin hat. Und, dass er eben auf der Suche nach Freundschaft ist. Warum er keine weiblichen Freunde hat, das wisse er nicht. Wenn Linda mir von ihr und ihm erzählt, dann glaub ich zu wissen, warum das so ist.
Sie trinken Wein, reden über alles, was ihnen durch den Sinn kommt und es dauert nicht lange bis klar ist, wie gut sie sich verstehen. Linda weiß zwar, dass es natürlich passieren kann, dass man jemanden trifft und ihn sofort gerne hat, aber sie würde es als Seltenheit einstufen. Heute ist einer diese Abende, die sie mit jemanden verbringt, den sie eigentlich nicht kennt, aber bereits mag. Später fragt er, ob er mit zu ihr kommen kann – rein freundschaftlich. Also gehen sie zu ihr, trinken noch etwas und dabei bleibt es. Die Frage, ob er bei ihr übernachten kann, lehnt sie ab. Zwar weiß Linda zu diesem Zeitpunkt bereits, dass er in einer offenen Beziehung lebt, jedoch fühlte sie sich bei dem Gedanken, dass er bei ihr schläft unwohl. Warum genau, weiß Linda nicht. „Es war einfach ein Gefühl in mir, das ich weder ignorieren wollte, noch konnte.“
Als er von ihr erzählte, nach dem sie miteinander geschlafen hatten
Am nächsten Tag trafen sie sich erneut, gingen gemeinsam schwimmen und redeten stundenlang, während sie auf einer Wiese in seinen Armen lag. Linda meint, es hat sich vertraut angefühlt und so, als würden sie sich bereits lange kennen. Ab dem ersten Moment, wo sie sich getroffen hatten, verbrachten sie jede Minute miteinander. Entweder sie sahen sich oder aber sie schrieben. Auch wenn es nur 24 Stunden gewesen sind, war es intensiv. „Wenn ich gewöhnlich jemanden kennen lerne, dann vergehen Tage nach dem Treffen, bis man sich wieder schreibt und noch mehr, bis man sich wieder sieht. Ein paar Tage ständig miteinander zu verbringen, obwohl man sich gerade erst kennengelernt hat, ist außergewöhnlich.“
Nachdem sie schwimmen waren, übernachtete er bei ihr. Sie schliefen miteinander und kurz darauf begann Linda ihn nach ihr zu fragen. Der dritten Person, die es eigentlich nicht gibt, aber dann irgendwie doch. Denn einen Namen hat sie noch keinen, kein Gesicht und keine Identität. Bis Ben zu erzählen begann und es schnell klar wurde, wie sehr er sie liebte. Er hatte dieses Glitzern in den Augen, dass Menschen nur dann bekommen, wenn sie wirklich, wirklich verliebt sind.
Er erzählt, dass sie bereits seit zwei Jahren zusammen sind und ihre Beziehung vor kurzem geöffnet haben. Aber nur, weil sie gerade verreist ist. Wenn sie wieder zurück ist, nach zwei Monaten, dann werden sie auch wieder monogam. Aber in der Zwischenzeit gibt es keine Regeln. Sie können alles das machen, wonach ihnen ist. Es gibt nichts, was verboten ist.
Wenn Kommunikation fehlt, dann funktioniert nichts
Als sie aufwachten, aßen sie gemeinsam, danach fuhr er zu sich. Nur, dass Linda kurze Zeit später wieder zu ihm fahren konnte. Wenn Linda diese Gesichte erzählt, dann klingen sie wie zwei Leute, die frisch verliebt sind und es nicht schaffen, eine Sekunde auseinander zu bleiben.
Sie waren bei ihm, redeten, verließen das Haus und unternahmen etwas. Sie machten auch Fotos gemeinsam, die mir Linda zeigt. Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich meinen, dass sie ein Paar sind. Etwas, dass auch Bens Freundin glauben kann. Zumindest läutet an diesem Tag ständig sein Telefon und wenn er ran geht, dann ist es seine Freundin auf der anderen Leitung. Eine die verletzt ist, weil sie das Gefühl hat, sie wurde ersetzt. Eine die nicht dachte, dass er das tun würde. Wenn er darauf sagt, dass er sie liebt, dann weiß Linda nicht, wie sie sich verhalten soll. Der Mensch, mit dem sie schläft und Händchen haltenden durch die Straßen läuft, sagt seiner Freundin, dass er sie liebt. Linda fragt sich: Was verdammt nochmal tue ich hier eigentlich?
Tut immer das, was für auch am besten ist, in Rücksicht auf andere
Das war das letzte Mal, dass sich Ben und Linda gesehen haben. Sie stehen noch in Kontakt, aber ob sie sich wieder sehen, wissen beide nicht. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern in Rücksicht auf seine Freundin. Und das versteht Linda. Was sie aber nicht versteht, ist, dass durch fehlende Kommunikation der beiden, sie gelitten hat – irgendwie. Klar wusste sie, dass er vergeben ist. Sie wusste jedoch nicht, dass sie danach mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat, obwohl er ihr versichert hat, dass es OK ist. Also fest steht, alle Menschen, die in einer offenen Beziehungsform leben, müssen darüber reden. Viel und lange und ausgiebig. Nicht nur, weil es die Beziehung stärkt, sondern auch für all jene, die dazu geholt werden. Damit keine Herzen gebrochen werden und jeder immer weiß, woran er ist.