Sexismus: Wieso ich nicht immer eine Rede halten möchte aber sollte
Sexismus ist dank der Metoo-Bewegung 2017 ein viel diskutiertes Thema. Nicht jeder ist hier einer Meinung. Es gibt viele Seiten, die gehört werden wollen und auch gehört werden müssen. Dann gibt es jene, die das Thema nervt und gar nichts mehr davon hören möchten. Im Alltag einer Frau ist Sexismus aber oft noch allgegenwärtig. Auch ich selbst habe damit Erfahrungen gemacht. Nicht immer möchte ich eine Grundsatz-Diskussion führen, wenn mir jemand mit sexistischen Bemerkungen oder Taten entgegentritt.
Das sollte ich aber.
„Wenn es dir nicht passt, schrei‘ halt #MeToo!“
Anfang Sommer war ich auf einer Party von Freunden. Weil sie außerhalb von Wien war, wurde auch gezeltet. Eingeladen waren mehrere hundert Leute. Freunde von Freunden von Freunden eben. Obwohl ich die Kerngruppe der Partygäste kannte, waren mir viele Gesichter unbekannt. Weil ich dieses Jahr nicht in Begleitung und sehr kurzfristig entschied, auf die Party zu fahren, hatte ich ein Wurfzelt für mich alleine mit. Das baute ich auch irgendwann während der Feier auf und hatte vor, später darin zu schlafen. Mein bester Freund stand hinter der Bar und irgendwann setzte ich mich deswegen davor und unterhielt mich mit ihm. Plötzlich spürte ich, wie jemand einen Arm um mich legte und mich fest drückte. Als ich die Person näher betrachtete, wehte mir eine Alkoholfahne entgegen und fragte mich, wer ich sei, denn ich sehe gut aus. Genervt befreite ich mich aus seinen Armen und ging ans andere Ende der Bar.
Mein erster Instinkt war, ihm eine Standpauke zu halten und ihn zu fragen, woher er sich das Recht nahm eine fremde Frau einfach so anzugreifen und ihre Privatsphäre zu verletzen. Ich beschloss, dass es die Sache nicht wert sei und ich mir meine eigene Laune und die der Anwesenden nicht mit einer Grundsatz-Diskussion über Frauenrechte verderben wollte. Doch dann schrie mich der Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte an: „Was ist mit dir? Wenn es dir nicht passt, schrei‘ halt me too„.
Ich wollte die Stimmung nicht verderben
Ich war perplex. Wütend stapfte er davon und ich stand da und überlegte, ob ich nun doch etwas sagen sollte. Ich wollte ihm nachlaufen und ihm erklären, was er an der MeToo-Bewegung nicht verstanden hatte. Ich wollte ihm sagen, dass Typen wie er der Grund sind, dass Frauen überhaupt so eine Bewegung brauchen. Das ließ ich sein. Während ich überlegte, stellte mir mein bester Freund gerade ein Bier und einen Becher voller Gulasch vor die Nase und erklärte: „Dieser Idiot ist zu betrunken. Der wird das jetzt nicht und wahrscheinlich auch nie verstehen“. Er zwinkerte mir aufmunternd zu. Er wusste genau, was in mir vorging. Weil ich mich von ihm verstanden fühlte, beruhigte ich mich und blieb bei meiner offiziellen Parteilinie, dass ich die Stimmung nicht verderben wollte.
Warum muss man eine Frau retten?
Gerade als ich die Begegnung schon fast vergessen hatte, kam ein zweiter Mann Mitte 20 auf mich zu, stellte sich viel zu nahe zu mir hin und sprühte mir ins Gesicht: „Du siehst so arm gelangweilt aus. Deswegen bin ich jetzt zu dir gekommen, um dich zu retten“. Ich musste lachen. Wenn es nicht sexistisch war, dann war es in jedem Fall die dümmste Anmache der Welt. Warum muss man mich vor Langeweile retten? Warum muss man eine Frau überhaupt retten? Ich antwortete, ich wäre nicht gelangweilt und drehte mich von ihm weg. Das entmutigte den jungen Mann leider nicht. Er suchte weiter das Gespräch mit mir und drehte mich dabei mit seinen Händen auch ständig zu sich. Das war mir zu viel, ich wurde lauter, riss seine Hände von mir weg und erklärte ihm, er solle mich in Ruhe lassen. Ihn anschreien wollte ich allerdings nicht, weil ich weiterhin befürchtete, zu viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und somit den restlichen Partygästen die Stimmung zu verderben. Er schimpfte mich daraufhin aggressiv und drehte sich weg. Ich hörte noch, wie er einem der anderen Gäste erklärte, ich wäre total „unentspannt“.
Ich fühlte mich den restlichen Abend unsicher
Nach den zwei Vorfällen war die Party für mich gelaufen. Ich fühlte mich schlecht und war weder in der Stimmung zu trinken noch zu tanzen. Also setze ich mich zu meinem besten Freund hinter die Bar. Er war genauso fassungslos wie ich über die Aktion der zwei Fremden. Nach einiger Zeit wurde ich müde und wollte eigentlich in mein Zelt. Das Problem war nur, dass ich mich nicht mehr traute, alleine in einem Zelt zu schlafen, während draußen Menschen herumliefen, die keine Grenzen kannten. Ich ging also gar nicht schlafen. Während der sehr langen Nacht, die ich damit verbrachte hinter der Bar zu bleiben und darüber nachzudenken, ob ich vielleicht überreagiert hatte, wurde mir klar, dass ich komplett falsch gehandelt hatte.
Ich hatte nämlich gar nicht überreagiert. Die zwei Männer, die mir gegenüber so dreist und aufdringlich waren, hätten eigentlich eine Standpauke verdient. Ich hätte sie viel lauter zurechtweisen müssen. Denn durch mein passives Verhalten tat ich niemandem einen Gefallen. Weder mir noch allen anderen Frauen, die sich mit solchen Überschreitungen auseinandersetzen müssen. Durch meine Angst, anderen die Partystimmung zu vermiesen, opferte ich nicht nur meine gute Laune, sondern auch mein Gefühl von Sicherheit. Das unüberlegte Verhalten der zwei Männer, ob sie nun betrunken waren oder nicht, führte dazu, dass ich den Rest der Party nicht mehr genießen konnte und raubte mir im wahrsten Sinne des Wortes den Schlaf.
Ich hätte etwas sagen sollen
Im Nachhinein bereue ich sehr, dass ich den Zweien nicht mit einer Lektion über die Grundlagen der zwischenmenschlichen Kommunikation und dem korrekten Umgang mit Frauen begegnete. Spätestens nach der Aussage „Wenn es dir nicht passt, schrei‘ halt me too“ hätte ich erklären sollen, dass diese flapsige und unreflektierte Aussage, an der er wahrscheinlich wochenlang gefeilt hatte und die er mit ziemlicher Sicherheit schon öfters angewendet hatte, nicht nur kein Grund ist, sich auf die einfallslose Schulter zu klopfen, sondern sogar von Respektlosigkeit zeugt.
Es hätte aber auch sein können, dass er die wahre Bedeutung von MeToo gar nicht verstanden hat. In dem Fall hätte ich ihm gerne erklärt, wer hinter der Bewegung steckt und wie wichtig sie für Opfer von sexueller Belästigung und sexuellen Übergriffen ist. Eine Studie fand mittlerweile immerhin heraus, dass die MeToo-Bewegung zu weniger sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz geführt hat. Im Endeffekt hätte ich aber vor allem für mich etwas sagen sollen und den zwei Männern bewusst machen müssen, dass sie eine Grenze überschritten hatten. Denn sich gegen die Verletzung der eigenen Privatsphäre zu wehren, ist nie fehl am Platz, auch wenn man gerade auf einer Party ist.