Die genauen Zahlen schwanken, aber im Großteil der Pornos wird die Frau immer noch als Objekt dargestellt – oft sogar in Verbindung mit physischer Gewalt. Dennoch sind genau Frauen diejenigen, die diese Art von Pornos konsumieren. Warum?

Eine junge Frau. Auf den Knien. Umgeben von zahlreichen nackten Männern. Ein paar erniedrigende Kommentare und Handgriffe ­später folgt die orale Befriedigung – begleitet von weiteren Handgrifflichkeiten. Dieses Skript muss man nicht weiterspielen. Jede Frau kennt das Szenario aus Pornos. Männer auch. Filmchen wie diese sind schließlich mit nur einem Klick zugänglicher denn je: Vorbei sind die Zeiten, in denen Playboy-Magazine unter der Matratze versteckt wurden. Mit durchschnittlich elf Jahren beginnen wir heute, Pornos zu konsumieren, wobei die größte Konsumentengruppe Jungs zwischen zwölf und 17 Jahren sind. Ein Klick auf das Feld „Sind Sie ­sicher, dass Sie über 18 Jahre alt sind?“ – und schon taucht man ein in die Welt der Pornos, von denen laut Huffington Post und der Studienautorin Gail Dines, Soziologieprofessorin am Wheelock College in Boston, über 80 Prozent physische Gewalt gegenüber Frauen zeigen. An dieserStelle sei allerdings erwähnt, dass ebendiese Zahlen stark variieren. Die häufigsten Zahlen pendeln sich zwar bei rund 80 Prozent ein, eine Studie von Barron und Kimmel aus dem Jahr 2000 kommt hingegen auf „nur“ 14 Prozent, eine von McKee aus 2005 sogar auf zwei Prozent. Der Knackpunkt ist immer die Definition von Gewalt, die Gail Dines, Soziologie-professorin und Autorin des Buchs Pornland: How Porn Has Hijacked Our Sexuality, als „Verhalten mit dem Ziel, jemand anderem Schaden zuzufügen, der offensichtlich motiviert ist, diese Art von Umgang zu vermeiden“ definiert. Ähnlich wie bei der #metoo-Debatte stellt sich auch hier die Frage: Kann man denn wirklich keine klare Linie ziehen? Weiß etwa nicht jeder, wo gegenseitiges Einverständnis endet und Gewalt beginnt?

Wo beginnt Gewalt?

Wie schwierig es ist, diese Trennlinie zu ziehen, zeigt das Filmprojekt Be Frank von Damayanti Dipayana und Camilla Borel-Rinkes: In dem siebenminütigen Video (nachzusehen auf huffingtonpost.com) lesen Männer verschiedene Storylines und müssen dann einschätzen, ob es sich um ein Pornoskript oder einen #metoo-Erfahrungs­bericht handelt. Das Ergebnis ist ernüchternd und zeigt, dass viele der gezeigten Männer offensichtlich Schwierigkeiten haben, die Storylines richtig einzuordnen. Der Clip endet mit dem Hinweis, dass alle vorgetragenen Storylines tatsächlich Skripte von pornografischen Filmen waren. Am Ende des Videos dann das eingeblendete Statement: „88,2 Prozent der Pornos enthalten eine Form von physischer Aggression gegenüber Frauen“, bezugnehmend auf die eingangs zitierte Studie. Wie wichtig die Definition von Gewalt ist, weiß auch Sexualpsychologin und Sexualtherapeutin Dr. Daniela Renn, die die 80 Prozent als etwas hoch gegriffen einschätzt: „Es gibt mittlerweile ein recht gutes Sortiment an Pornos für Frauen, wo dieser Gewaltaspekt, den man aus klassischem pornografischem Material kennt, nicht so sehr gegeben ist. Gewalt heißt, jemanden zu etwas zu zwingen, etwas gegen den Willen zu tun. Der Dominanzaspekt in der Sexualität hingegen bedeutet, dass man jemanden für etwas (be-)nutzt – allerdings im gegenseitigen Einverständnis. Das ist ein wesentlicher Unterschied“, stellt Dr. Daniela Renn klar. Nichtsdestotrotz zeigt die aktuellste Pornhub-Studie, dass vor allem auch Frauen diese erniedrigenden Pornos – wie auch immer man nun Gewalt als solches definiert – konsumieren. Warum? „Bleibt man nun beim Dominanzaspekt, so ist aus psychologischer Sicht gut vorstellbar, dass das für Frauen sehr anziehend sein kann – auch für Frauen, die sonst sehr selbstbewusst und dominant sind. Es wird dann im Sexuellen das Loslassen, das Gebraucht- und Genutztwerden gesucht. Das Leben hält sich eben immer in der Waage. Aber Achtung, bitte: Nicht jede selbstbewusste, ­dominante Frau hat ein unterwürfiges ­Sexualleben“, erklärt die Sexualpsychologin.

Warum scheinen Frauen physische Gewalt im sexuellen Kontext zu genießen?

Das Spannende und zugleich Verblüffende: Selbst wenn die Grenze von Dominanz zu Gewalt überschritten wird (wie zwar nicht in genauen Prozentzahlen belegt werden kann, aber definitiv in „klassischen“ Pornos immer noch dargestellt wird), sind auch Frauen die Konsumentinnen ebendieser Videos, wobei viele üblicherweise nicht offen darüber sprechen, denn: „Die meisten Frauen erschrecken über sich selbst, wenn sie bemerken, dass sie Gewaltszenen anturnen“, weiß Dr. Daniela Renn. Dass Gewalt, also rational nicht gewolltes Erniedrigtwerden und physisches Angreifen, anturnt, klingt also erst mal absurd. Tatsächlich lässt sich dieses Phänomen aber aus neurologischer und psychologischer Sicht schlüssig erfassen: „Das hängt mit unserem Schmerz- und Lustempfinden zusammen. Diese beiden Empfindungen kommen aus ganz ähnlichen Bereichen in unserem Gehirn bzw. hängen diese Areale zusammen und können sich gegenseitig beeinflussen. Der Prozess könnte also sehr vereinfacht folgender sein: Schmerz = Lust. Gewaltszenen = Schmerz. Daher: Gewaltszenen = Lust. Es gibt diesbezüglich noch andere Hinweise, etwa, dass das Schmerzerleben einer Geburt lustvoll sein und sogar ein Orgasmus erlebt werden kann.“

 

Wo zieht man die Grenze zwischen Fantasie und Realität?

Nichtsdestotrotz: Rational gesehen ist es als Frau widersprüchlich und absurd, wenn die physische Gewalt gegenüber Frauen anturnt. Um das Phänomen des Genusses von Gewaltpornos zu verstehen, ist diese eine folgende Unterscheidung ganz wesentlich, wie die Sexualpsychologin klarstellt: „Es geht um die Unterscheidung zwischen Fantasie und Realität. Also das, was man sich vorstellt oder von dem man vielleicht träumt und wo man die Fantasie alleine erregend findet, und andererseits das, was man tatsächlich machen würde. Ich bin überzeugt davon, dass die meisten Frauen sich in der Realität nicht solchen Situationen ausliefern würden, aber es in der Fantasie sehr wohl erregend sein kann.“ Denn genau das machen Pornos: eine Fantasiewelt erschaffen. „Man kann sich mit Pornos in alles Mögliche hineinträumen und sich das auch vorstellen. Das heißt aber nicht, dass eine Frau sich im wahren Leben darauf einlassen würde, wenn die Möglichkeit so eines Erlebnisses besteht. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Ob man diesen Unterschied erkennt, hängt stark damit zusammen, wie aufgeklärt man ist und welche Informationen man über Sex, Liebe und Partnerschaft hat“, sagt Dr. Daniela Renn. Diesen Unterschied ganz bewusst zu kennen ist unabdingbar für unser tatsächliches Sexualleben, sonst „kann es wirklich gefährlich werden. Da handelt es sich um diese Nachrichtenmeldungen, dass mehrere Jugendliche ein Mädchen vergewaltigt haben. Diese männlichen Jugendlichen müssen nicht per se gewalttätig sein, schlecht denken oder schlecht aufgewachsen sein. Nicht selten wird gesagt: ‚Na ja, im Porno wird’s auch so gemacht, und da hat das den Frauen ja gefallen.‘ Das klingt absurd, aber aus dem jugendlichen Standpunkt heraus, in dem Kinder gerade auf Informationssuche sind, ist so eine Argumentation nicht entschuldbar, aber nachvollziehbar.“ Obwohl die Geschlechtergleichstellung so weit ist wie nie (und dennoch noch lange nicht dort, wo sie sein sollte), zeigen Studien wie etwa jene von The Line, dass junge Männer heute sexistischer denn je sind. Jeder vierte junge Mann findet es laut der australischen Studie okay, Frauen in puncto Sex unter Druck zu setzen – wahrscheinlich nicht zuletzt durch die leichte Zugänglichkeit von Pornos, die genau das vermitteln. Sind Pornos deshalb schlecht? „Um Himmels willen, nein. Aber der Vorteil, wenn man nicht so viel und so jung schon Pornos konsumiert, ist, dass man mehr auf die eigenen Fantasien zurückgreifen kann“, beschreibt Dr. Daniela Renn ihr Fazit. Vielleicht haben wir durch Pornos – so anregend sie sein können – das Vertrauen in unsere eigene Fantasie verloren. Dabei kann gerade Fantasie, wenn man sie nur zulässt, besser als jeder Porno sein …

Vielen Dank an Sexualpsychologin und Sexualtherapeutin Dr. Daniela Renn