Dunkelziffer bei Corona-Toten in Italien: „Mein Vater musste allein und ohne Hilfe sterben“
Tragische Szenen spielen sich derzeit in Italien ab. Denn viele Erkrankte sterben alleine und ohne medizinische Hilfe. Zudem wird der Verdacht, dass es eine hohe Dunkelziffer bei Covid-19-Todesfällen in Italien gibt, durch eine Studie in der besonders stark betroffenen Provinz Bergamo verstärkt. Denn demnach erlagen viele Patienten dem Coronavirus ohne ärztliche Untersuchung zu Hause und gingen damit nicht in die offizielle Statistik ein.
Das schließen die Lokalzeitung „L’Eco di Bergamo“ und die örtliche Unternehmensberatung InTwig aus ihrer jüngst veröffentlichten Untersuchung amtlicher Daten.
Italien: Dunkelziffer der Coronavirus-Toten weitaus höher
Demnach gab es in der Provinz diesen März mit 5400 Toten sechsmal so viele Todesfälle wie im März 2019. Damit könnten bis zu 4600 der Toten an Covid-19 gestorben sein. Das wären mehr als doppelt so viele wie in den Statistiken (2060), die nur Tote in Krankenhäusern zählen.
Bei der örtlichen Gesundheitsbehörde war keine Stellungnahme zu den Untersuchungsergebnissen zu bekommen. Interviews mit Familienangehörigen und medizinischem Personal untermauern aber den Verdacht. Es sei praktisch unmöglich, Hausbesuche zu vereinbaren, sagen Familienangehörige. Wegen Überlastung, aus Mangel an Schutzausrüstung und aus Angst um ihre eigene Gesundheit würden Hausärzte ihren Patienten ohne Untersuchung Medikamente verschreiben, bestätigen Mediziner. Wenn ein Arzt doch noch einen Hausbesuch mache, komme er oft zu spät.
„Mein Vater musste zu Hause allein und ohne Hilfe sterben“
„Mein Vater musste zu Hause allein und ohne Hilfe sterben“, sagte Silvia Bertuletti, die sich elf Tage lang vergeblich um einen Hausbesuch für ihren Vater bemüht hatte. Dem 78-Jährigen sei ein leichtes Schmerzmittel und ein Breitband-Antibiotikum verschrieben worden. Als ein Bereitschaftsarzt schließlich kam, sei ihr Vater bereits verstorben gewesen. „Man hat uns einfach aufgegeben. Niemand hat so ein Ende verdient.“
Der Hausarzt der Familie liegt derzeit im Krankenhaus. Sein Vertreter, der anonym bleiben will, erklärt am Telefon unter Tränen, Mediziner müssten schwere Entscheidungen treffen. Ihn erreichten täglich zwischen 300 und 500 Telefonanrufe. „Ich kann Hausbesuche nur bei den schwersten Fällen machen, nicht bei denen, die Husten und Fieber haben.“
Der Bürgermeister von Bergamo, Giorgio Gori, sagt, trotz der größten Bemühungen könnten nicht alle Patienten im Krankenhaus aufgenommen werden. „Manchmal ziehen es die Familien auch vor, ihre Kranken zu Hause zu behalten – aus Angst, dass sie sonst keine weitere Gelegenheit mehr haben, um Abschied zu nehmen.“
(Quelle: Reuters)