FOMO: Was ich durch meine krankhafte Angst, etwas zu verpassen, gelernt habe
Kaum etwas macht mich so nervös wie Gruppenchats. Nicht, weil zeitweise in zehn Minuten mehr Nachrichten eintrudeln, als in manchen Einzelchats in einem Jahr, sondern weil ich es kaum in der Hand habe, was wo und wie ausgemacht wird. „Wer hat morgen Zeit? Drinks? Essen? Wann und wo?“ Oje. „Oh nein, hab schon etwas anderes ausgemacht morgen, eventuell komme ich später nach, aber bin beim nächsten Mal wieder fix mit dabei“, tippe ich und gleichzeitig spüre ich dieses ungute Gefühl. Was werde ich wohl alles verpassen? Werden mich meine Freundinnen vergessen? Wird die Welt untergehen, wenn ich nicht dabei bin? Ich geb es ja zu, ich leide an einer sehr ausgeprägten Form von FOMO. Die Fear of missing out hat bei mir derartige Ausmaße angenommen, dass es mich schon nervös macht, wenn ich merke, dass sich Kollegen oder Freunde außerhalb meiner Hörweite unterhalten. Oder wenn ich mitbekomme, dass Freunde in separaten Privatchats kommunizieren. Oder sich ohne mich (!) Treffen ausmachen. Ich lese Mails im Urlaub. Bin beleidigt, wenn ich merke, dass ich Infos später als andere erfahre. Horror!
So kann das jedenfalls nicht weitergehen. Denn total rational betrachtet sind meine „Sorgen“ vollkommen unbegründet. Trotzdem nehme ich mir vor, gelassener zu werden. FOMO war gestern, überall liest man derzeit vom neuen Lifestyle-Trend JOMO. Da wird einfach die Fear (Angst) durch Joy (Spaß, Genuss) ersetzt. Man soll jetzt also „Spaß“ daran haben, Dinge zu verpassen. „Einfach“ ist das (für mich) allerdings nicht, aber „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, denke ich und beschließe somit, auch mein weiteres für morgen ausgemachtes Treffen zu verschieben. Ganz bewusst. Und da sind sie wieder, die Gewissensbisse, das ungute Gefühl. Warum sich das so anfühlt, weiß ich nicht. Das Schlimme an der Sache ist eigentlich, dass ich mir oft nichts mehr wünsche, als einen Abend alleine auf der Couch zu verbringen. Ich mache das auch öfters – Aber eben nur solange ich weiß (oder glaube zu wissen), dass ich garantiert nichts „verpasse“. Ich weiß, ich brauche die Me-Time oft dringend. Und doch ist da dieses Teufelchen in meinem Kopf, das es mir nicht vollständig ohne schlechtes Gewissen erlaubt, alleine zu sein und „nichts“ zu tun (alleine sein und arbeiten geht komischerweise besser).
Ich kämpfe also gegen das Teufelchen an und rede mir ein, dass es absolut okay ist, nicht immer überall dabei zu sein, nicht alles (sofort) zu wissen und dass garantiert auch nichts Spektakuläres passiert. Ich sage also zwei Treffen ab und merke, niemand ist böse auf mich. (Kurze Gedanken, dass das nur der Fall ist, weil ich von meinen Freunden vermutlich schon vergessen wurde, lösch ich gleich wieder aus meinem Kopf.) Und dann, am nächsten Abend passiert doch tatsächlich etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ich genieße die Me-Time, die ich mir bewusst genommen habe. Ich bin alleine in meiner Wohnung, koche, höre Musik, schau fern. Und ich bin happy. Ich nehme mir Zeit, meine Gefühle, Ängste und Sorgen zu reflektieren und zu hinterfragen. Und das kann ja eigentlich nie schaden – im Gegenteil. Auch wenn das viele vermutlich nicht nachvollziehen können – für mich ist es ein kleiner Triumph. Ein entspannender Triumph. Vielleicht schaffe ich es ja bald, den Gruppenchat mal auf stumm zustellen – und die verpassten 345 Nachrichten nicht nachzulesen.