Faszination Träume: Was wir im Schlaf verarbeiten
Jeder tut es, manche erinnern sich nicht daran und viele machen die verrücktesten Dinge darin: Träumen. Wir haben uns dieses natürliche Phänomen näher angesehen und gemeinsam mit der Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision, Irene Wallner, die wichtigsten Fragen und Mythen rund um Träume erforscht.
Wieso manche Menschen nur Schwarz-Weiß träumen und andere andauernd von Albträumen geplagt werden, erfährt ihr hier.
Was sind Träume eigentlich?
„Träume spiegeln den Zustand unserer Seele wider„, erklärt uns die Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision, Irene Wallner. Gemeinsam mit ihr gehen wir den wichtigsten Fragen rund um das Träumen auf den Grund. Denn nicht umsonst gibt es unzählige Studien, Bücher, Filme und Songs über das Phänomen, das jeder kennt, über das man aber nur selten spricht (das aber vielleicht öfter tun sollte). Die einen träumen die wildesten Dinge und entfalten ihre Kreativität, während sie schlafen, andere werden von Albträumen geplagt und wachen oft schweiß- gebadet auf; wieder andere schaffen es sogar, ihre Träume zu steuern.
Was passiert, wenn wir träumen?
„Beim Träumen werden wichtige emotional aufgeladene Ereignisse dargestellt, aber auch verarbeitet„, sagt Wallner. Darin können sich Ängste, Wünsche und Hoffnungen spiegeln. Kämpft man gerade mit einem Problem, dann kann es durchaus auch passieren, dass in Träumen Lösungen erarbeitet werden. „Deshalb ist es auch sehr wichtig für uns, darüber zu sprechen„, so Irene Wallner. Während des Träumens durchleben wir oft unsere Vergangenheit, aber auch die Gegenwart und manchmal sogar die Zukunft. Was Träume über eine Person aussagen? „Das ist der authentischste und kreativste Ausdruck der Menschen„, so Wallner. Oft ist es auch so, dass viele ihre Kreativität nur im Traum ausleben können, da dafür im echten Leben einfach kein Platz ist.
Ob und woran wir uns nach dem Träumen erinnern, entscheidet unter anderem die Schlafphase, in der wir aufwachen. Zum einen gibt es die sogenannte REM-Phase, REM steht für „Rapid Eye Movement“. Darin schlägt das Herz schneller, die Atemfrequenz und der Blutdruck steigen und die Augen wandern bei geschlossenen Lidern hin und her. Wer während dieser Phase des Schlafens aufwacht, soll sich Studien zufolge nicht nur an den Traum an sich erinnern, sondern auch an bestimmte Geräusche und Gerüche, die während des Träumens aufgetaucht sind. Laut Forschern ist der REM-Schlaf besonders für die psychische Erholung wichtig. Wer jedoch während der Non-REM-Phase aufwacht, in der der Schlaf ruhig und die Atmung regelmäßig ist, kann sich meistens nicht daran erinnern, was er geträumt hat.
Symbolsprache Traum
„Faszinierend sind Träume für uns sicherlich auch wegen der Symbolsprache. Träume sind oft sehr verschlüsselt und haben einen kreativen Ausdruck mit spannenden Symbolen, wo man sich am Anfang vielleicht denkt: ‚Total seltsam!‘ Aber dann ergründet man sie langsam“, sagt Wallner. Bereits in der Antike hat man die Symbole gedeutet, die mit den Träumen kamen, und daraus dann Prophezeiungen geschaffen. Daraus entstand dann auch die uns bekannte Traumdeutung, auch Oneiromantie genannt. Abgeleitet ist dieses exotische Wort von Oneiros, dem alt- griechischen Wort für Traum. Auch für die alten Römer hatten Träume eine sehr große Bedeutung: Julius Cäsar soll etwa 49 v. Chr. dermaßen von einem sehr intensiven Traum geplagt und beeinflusst worden sein, dass er dann nach Italien ging und dort einen Bürgerkrieg auslöste.
Später in der Geschichte sollen auch berühmte Erfinder wie James Watt wertvolle Informationen für ihre künftigen Erfindungen während des Träumens erhalten haben – und auch Therapeuten und Psychoanalytiker nutzen die Traumdeutung für ihre Arbeit: Viele Menschen suchen ein Therapiegespräch auf, um über ihre Albträume zu sprechen, oder wenn sie sehr oft denselben Traum haben. „Aus der Sicht der analytischen Psychologie steckt da meistens ein Komplex dahinter. Das ist eine Ansammlung von Erlebnissen um einen archetypischen Kern, also ein energetischer Knotenpunkt“, schlussfolgert Wallner.
„Das kennt man zum Beispiel vom so genannten Minderwertigkeitskomplex. Der Kern ist das Selbstwertgefühl; rund herum sammeln sich viele Ereignisse an. Wenn diese überwiegend negativ aufgeladen sind, entwickelt sich ein Minderwertigkeitskomplex. Der meldet sich dann auch immer wieder im Traum. Das ist aber auch das Schöne bei Träumen: Wenn es wirklich wichtig ist und wenn es um ein wesentliches, ungelöstes Thema geht, das ins Bewusstsein kommen soll, dann wiederholt sich der Traum immer wieder„, so Wallner weiter. Unser Körper, unsere Gedanken und unser Bewusstsein sind also ziemlich schlau und beginnen bereits mit der Problembearbeitung, noch bevor uns bewusst wird, dass es überhaupt ein Problem geben könnte.
Zwischen Schwarz-Weiß und Farbe
Manche Menschen träumen ja auch in Schwarz-Weiß, während andere die volle Farbpracht erleben. Dieses Thema hat wohl schon viele Menschen beschäftigt, denn es gibt bereits Studien darüber. Der amerikanische Wissenschaftler Eric Schwitzgebel und die britische Psychologin Eva Murzyn meinen, das hänge damit zusammen, wie man in der Kindheit Fernsehen geschaut hat, also Schwarz-Weiß-Fernsehen oder Farbfernsehen. Diese Theorie sieht Irene Wallner kritisch: „Eigentlich ist es ja so, dass der Traum erst beim Aufwachen und Erinnern in Zeit, Raum und Form gebracht wird. Dann weiß man aber auch nicht wirklich, ob man schwarz-weiß oder farbig geträumt hat oder ob es nicht erst während des Erinnerungsvorgangs passiert ist.“
Um ein paar weitere Eigenheiten des Träumens aufzuzählen: Die einen können im Traum nicht telefonieren, schreiben oder lesen. Andere sind nicht dazu in der Lage, zu essen, obwohl sie ein prachtvolles Buffet vor sich sehen. Auch dafür hat Wallner eine plausible Erklärung: „Wenn man im Traum nicht telefonieren kann, dann ist das ein Thema der Kommunikation – da ist im Leben gerade etwas, wo ich mich nicht ausdrücken kann.“ Dann ist es wohl Zeit, um sich mal intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen! Wallner: „Und wenn man nicht essen kann, dann hängt das vielleicht damit zusammen, dass man nicht zugreifen oder etwas für sich in Anspruch nehmen kann. Das ist ein symbolisches Problem, das man in Angriff nehmen sollte.“
Wenn man Träume steuern kann
Und dann gibt es noch etwas, das viele vielleicht nur aus Filmen oder ihren kühnsten Vorstellungen kennen: luzides Träumen, also Träume, die man steuern kann. „Wenn man selbst ganz bewusst mitgestalten kann, spricht man von luzidem Träumen. Man erinnert sich auch daran und kann den Traum leiten und verändern. Man ist sich dessen auch bewusst“, erklärt Wallner. Ob das jeder lernen kann? „Es gibt mehrere Ansichten dazu, denn es ist gar nicht so sicher, ob man seine Träume wirklich steuern kann oder ob das eher in Richtung aktive Imagination geht. In der Aufwachphase verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit nämlich ein bisschen“, weiß Wallner.
Und auch für den Mythos, dass manche Menschen dazu in der Lage sind, vorausschauend zu träumen, hat Irene Wallner eine zufriedenstellende Erklärung: „Die Frage ist: Ist das wirklich so passiert oder glaubt man das nur? Natürlich gibt es so etwas wie eine Intuition und man kann im Unbewussten eine Vorahnung haben. Denn im Unbewussten nimmt man sehr viel mehr auf als im Bewusstsein.“ Doch während wir träumen, schläft auch das Bewusstsein. Das bedeutet, dass wir Raum- und Zeitgefühl und auch logisches Denken nicht so beherrschen wie am Tag.
Status: Unmessbar
Auch wenn wir uns oft wünschen, besonders schöne Träume einzufangen oder schlimme Träume festzuhalten, um sie anschließend zu analysieren, ist das bis heute ein Ding der Unmöglichkeit. Denn Träume kann man nicht messen oder unmittelbar beobachten. Was also genau im Gehirn passiert, wenn man häufig Albträume hat, ist noch nicht ausreichend erforscht. Ob es aber mit der Lebensweise zu tun hat, erzählt uns Irene Wallner: „Menschen, die dauernd von Albträumen verfolgt werden, haben etwas Furchtbares erlebt. Natürlich sind Menschen, die das nicht haben, stabiler, ausgeglichener und weniger ängstlich. Ein Albtraum – vor allem, wenn er immer wiederkehrt – fußt auf etwas, das man nicht verarbeitet hat und einen innerlich plagt.“
Viele beginnen dann mit einer Therapie oder einem Traumtagebuch, in dem sie alles aufschreiben, woran sie sich erinnern können. Oder sie treffen sich mit anderen Menschen und tauschen sich über ihre Träume aus. Denn was wirklich hilft, Dinge aufzuarbeiten und Bedeutungen zu erkennen, ist, darüber zu sprechen und auch andere Meinungen einzuholen, beispielsweise in Form einer Therapie.
Die Faszination lässt uns nicht los
Doch egal, ob bunt oder schwarz-weiß, lustig oder furchteinflößend – Träume sind etwas Faszinierendes. Die Tatsache, dass sich diese bei jeder Person individuell abgestimmt äußern, zeigt uns, wie viel Kreativität und Unentdecktes in uns schlummern; wie viel wir tagsüber wahrnehmen und in der Nacht verarbeiten und wozu unser Körper fähig ist, ganz ohne unseren Einfluss. Also, wie Aerosmith schon zu sagen pflegten: „Dream on!“