Die Realität einer ungewollten Schwangerschaft
Was ist das große Problem des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Thema Abtreibung?
„Mit einem Abbruch übernehmen Frauen Verantwortung für den eigenen Körper (und ihre Zukunft) und werden dafür bestraft (…) Sie müssen eine Abtreibung beispielsweise immer noch alleine zahlen – obwohl hier doch ganz klar zwei Menschen beteiligt sind“, erklärt Dr. Christian Fiala, der Leiter des Ambulatoriums für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung in Wien.
„In der Gesellschaft findet immer noch eine Bevormundung der Sexualität und Fruchtbarkeit statt. Frauen wollen über ihren intimsten Lebensbereich selbst entscheiden, trotzdem dürfen sie bei dieser Thematik nach wie vor nicht mitreden. (…) Deshalb unterscheidet sich auch der öffentliche Diskurs des Themas fundamental davon, was die Frauen wirklich beschäftigt“. Nach wie vor trifft nämlich die Regierung die Entscheidungen für sie. „Es gibt leider auch heute immer noch zu wenige Menschen, die sich für eine echte Selbstbestimmung in diesem Lebensbereich einsetzen“, beklagt Fiala.
Welche Frauen kommen zu ihnen, um einen Abbruch durchzuführen?
„Die meisten Frauen sind bereits Mütter von einem oder mehreren Kindern, die entscheiden, dass ein weiteres Kind zum Zeitpunkt des Verhütungsunfalls nicht machbar wäre“, erklärt Fiala. „Prinzipiell kann ich aber sagen, dass Frauen, die zu uns kommen vorausschauende, verantwortungsvolle und intelligente Frauen sind, die die Möglichkeit wahrnehmen, eine negative Entwicklung zu verhindern und das ‚Projekt Kind‘ lieber dann verwirklichen möchten, wenn die Rahmenbedingungen besser sind“.
Wie läuft eine Abtreibung ab?
„Es gibt zwei Möglichkeiten für einen (frühzeitigen) Abbruch: Einen kleinen chirurgischen Eingriff von etwa 3-5 Minuten und die medikamentöse Variante, die auch ganz intim zuhause durchgeführt werden kann (…) Frauen in Österreich dürfen bis drei Monate ab Beginn der Schwangerschaft abtreiben, bei schwerer Fehlbildung des Kindes und bei Mädchen unter 14 Jahren gibt es keine Frist.“ Mehr Infos zu den gesetzlichen Regelungen finden sie hier.
Wie geht es Frauen, die zu ihnen kommen, nach dem Abbruch?
Die Annahme, dass es Frauen nach einer Abtreibung automatisch sehr schlecht geht, ist vollkommen falsch, so Fiala. Abtreibung als eine ausnahmslos dramatische und schmerzhafte Erfahrung darzustellen ist eine „psychologisch manipulative Methode des Staates, Frauen dafür zu bestrafen, dass sie nicht ihre gesellschaftliche ‚Pflicht erfüllen‘, nämlich Kinder in die Welt zu setzen“. Wenn sie also so etwas „schreckliches“ (abtreiben) tun, muss es ihnen gefälligst auch schlecht gehen, quasi.
„Ein Abtreibung ist immer eine Lösung des zugrundeliegenden Problems einer ungewollten Schwangerschaft.. Deshalb ist sie für sehr viele Frauen eine unglaubliche Erleichterung (…) Wie es einem damit geht, ist aber von Individuum zu Individuum anders“, erklärt Fiala. Nach einem Abbruch gibt es also in den meisten Fällen keine Probleme – zumindest nicht, wenn folgende drei Voraussetzungen gegeben sind: „1. Es ist die Entscheidung der Frau 2. Das soziale Umfeld akzeptiert diese Entscheidung 3. Die Abtreibung wird professionell und nicht wertend durchgeführt“.
Haben Frauen nach einem Abbruch Probleme, wieder schwanger zu werden?
„Keinesfalls„, meint Fiala. „Im Gegenteil – Frauen die bereits eine Abtreibung hatten, können mit Gewissheit sagen, dass sie fruchtbar sind und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zwei Wochen später (wieder) schwanger werden können.“ Gerade deshalb ist auch Verhütungsberatung nach einem Abbruch besonders wichtig.
Warum ist Empathie so wichtig, wenn es um dieses Thema geht?
„Jeder Mensch hat eine Belastungsgrenze – und eine Schwangerschaft ist schießlich viel mehr als nur 9 Monate lang ein Baby in sich zu tragen und es schließlich zu gebären. Es bedeutet viel Arbeit und eine lebenslange Verantwortung mit dem Anspruch, das Kind gut in das Leben zu führen (…) Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, denken schließlich nicht ‚Ja, ok – mach ich jetzt halt mal einen Abbruch‘, sondern ‚Ich sehe nicht, wie sich das ausgehen soll‘ und ziehen berechtigterweise die Notbremse. Und es ist extrem wichtig, dass wir das respektieren und unterstützen“, meint Fiala.
Dabei geht es laut dem gynmed-Leiter auch um ‚Empowerment‘. Und „Empowerment bedeutet, informiert zu sein…“, zu wissen, welche Möglichkeiten frau hat. „Wenn man einen Autounfall hat, weiß man, was zu tun ist. So sollte frau auch bei einem Verhütungsunfall wissen, was die Optionen sind“ – und für sich entscheiden können, wie sie weiter vorgeht, erklärt er.
Was sagen sie Menschen, die Abtreibung als „Kindesmord“ bezeichnen?
„Das ist natürlich vollkommener Blödsinn (…) Ein Embryo ist noch kein Kind. Genauso wie eine Blumenzwiebel noch keine Blume ist. Es ist ein Zukunftspotential, das eine Frau in sich trägt und kein ‚Ist-Zustand‘. Entscheidend ist nicht ‚Was ist das jetzt‘, sondern ‚Wer kann ein zukünftiges Kind verantwortungsvoll ins Leben begleiten?'“ Medizinischen Studien zufolge sind Föten bis zum dritten Trimester nicht zu einem Bewusstsein fähig, und auch für die Schmerz-Empfindung benötigen Menschen das Großhirn, das sich ebenfalls erst in der späteren Schwangerschaft ausbildet.
All jenen, die Frauen wegen ihrer Abtreibung verurteilen, rät Dr. Fiala: „Wenn sie den betroffenen Frauen garantieren würden, dass sie ihnen für den Rest ihres Lebens mit ihrem Kind helfen und sie unterstützen, würden sich bestimmt einige Frauen anders entscheiden. Aber diejenigen, die gescheit daherreden und verurteilen, machen meist selbst keinen Finger krum. Sie interessieren sich nicht für diese Frauen und ihr Schicksal, sollten sich also besser zurückhalten (…)
Was sollte man sich also überlegen, bevor man urteilt?
„Anderen zu sagen, was sie brauchen, ist falsch“, erklärt Fiala. „Ein Kind in die Welt zu setzen ist wie wir alle wissen eine riesige Verantwortung. Die zentrale Frage ist also immer: ‚Wer ist real da, um das Kind ins Leben zu begleiten?'“. Es ist die Frau, manchmal auch der Partner – und sonst niemand. „Und deshalb ist es auch allein ihre Entscheidung, ob sie sich dieser Aufgabe gewachsen fühlen, oder eben nicht (…) So entscheiden sich manche Frauen, nach neun Kindern die zehnte Schwangerschaft zu beenden, manche Frauen kommen zu der Schlussfolgerung, dass in einer gewissen Lebenssituation auch ’nur‘ ein Kind zu viel ist – beide Entscheidungen sind gleichermaßen zu akzeptieren“.
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Wir bedanken uns herzlich bei Dr. Fiala für das interessante Gespräch.
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