Die letzten Tage von Jesus Christus waren die Vorlage zahlreicher Verfilmungen, Musicals und Co. Mit „Die Passion“ will sich auch RTL an der Geschichte versuchen – und gestaltet einen Leidensweg für alle.

Ob das wirklich beabsichtigt war?

„Die Passion“: RTL macht ein Jesus-Musical

Der strömende Regen war vielleicht ein Zeichen von oben, dass das gestrige Live-Event nicht unter dem besten Stern stand. Denn als „Die Passion“ live in Kassel begann, weinte nicht nur der Himmel. Auch wir mussten ein paar Tränen verdrücken – jedoch vor lauter Lachen! „Die Passion“ ist ein Live-Musical-Event, bei dem mittlerweile zum zweiten Mal die letzten Tage von Jesus Christus neu inszeniert werden; mit deutschen Popsongs und einigen Stars der RTL-Szene. Man kann es sich also ein bisschen so vorstellen wie den Versuch des Senders, eine eigene Version des Erfolgsmusicals „Jesus Christ Superstar“ zu schaffen – nur eben ohne eigene Songs oder Andrew Lloyd Webber. Aber wer braucht den denn schon? Wir haben schließlich Ben Blümel als Jesus – und Jimi Blue Ochsenknecht als Judas. Das muss doch zum Erfolg führen.

Es ist also ein Spektakel, das wir uns natürlich auch nicht entgehen lassen wollten – genauso wie die rund 8.000 Besucher:innen vor Ort, die extra auf den Friedrichsplatz in Kassel kamen, um das Live-Event mitzuverfolgen. Schade nur, dass ein Großteil der Performances dann erst recht nur über einen Bildschirm gezeigt werden. Aber wer will denn schon kleinlich sein. Schließlich bekommt das Publikum (das übrigens ungeschützt im strömenden Regen verharrt) Performances von Nadja Benaissa als Maria und Hannes Jaenicke, der seine Rolle als Erzähler wirklich außerordentlich ernst nimmt und nicht müde wird zu betonen: Das, was wir hier sehen, ist die wichtigste Geschichte der Menschheit.

Was hat Falco euch denn angetan?

Und die wird geschmückt mit Songs wie „Tage wie diese“ von den Toten Hosen, „Out of the Dark“ von Falco und „Nie genug“ von Christina Stürmer. Warum ausgerechnet diese Songs das Leiden von Jesus Christus untermalen sollen? Wir wissen es auch nicht. Wir sind ehrlicherweise aber auch viel zu abgelenkt von der teils schwindelerregenden Kameraführung, die manche Szenen wirken lässt, als wäre es ein Musikvideo von LaFee aus den frühen 2000ern. Der Höhepunkt des dadurch entstehenden Cringefestes ist etwa die Performance von Judas (Jimi Blue Ochsenknecht), die ehrlicherweise auch das neue Intro einer Kinderserie über ein Vampirschloss sein könnte. Aber an Cringe-Höhepunkten mangelt es der Show ohnehin nicht.

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Judas kämpft kurz vor dem Verrat mit seinem Gewissen. Standet ihr auch schon mal vor einer moralischen Entscheidung? #DiePassion #RTL #Ostern

♬ Originalton – RTL

Als wir etwa erkennen, dass sich die Produktion für den emotionalen Höhepunkt zwischen Jesus und Judas (ihr wisst schon, dann, wenn der Judaskuss fällt) ausgerechnet für den Song „Out of the Dark“ von Falco entschieden haben, fällt jede Fassade des „ach, so schlimm ist es doch gar nicht“. Spätestens bei der Zeile „muss ich denn sterben, um zu leben?“ schleicht sich ein Gefühl der Fremdscham ein, das mit kaum einem Moment vergleichbar ist. Es ist wie der Moment, in dem man alte Familienvideos auf einer Festplatte findet, auf denen man der ganzen Familie etwas vorsingt und vortanzt und sich dabei viel zu sehr selbst fühlt.

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Ein tragischer, aber bedeutungsvoller Moment in Jesus Lebensgeschichte. Aber selbst im dunkelsten Moment hält er an der Liebe und Solidarität seiner Mitmenschen fest 🤍 #DiePassion #Glauben #RTL #Ostern

♬ Originalton – RTL

Denn den ganzen Abend über versorgen die Darsteller:innen jede einzelne Szene mit dieser gewissen Extraportion Kitsch, die der eigentlich sehr ernsten Geschichte einen fast schon satirischen Hauch verleiht. Steckt hinter der Performance von „Wie soll ein Mensch das ertragen“ vielleicht einfach Humor, den wir nicht ganz verstehen oder erkennen? Ist das alles der Versuch eines satirischen Musicals, das die Ernsthaftigkeit des Kreuzzuges ein bisschen in Frage stellen soll? Verdeutlicht die deutsche Version von „We Don’t Need Another Hero“ etwa eine versteckte Kritik?

„Die Passion“: Meinen die das ernst?

Doch bevor wir hinter „Die Passion“ jetzt den größten gesellschaftlichen Clou vermuten, werden wir von Co-Moderatorin Angela Finger-Erben schnell wieder zurück auf den Boden der Realität geholt: die meinen das hier nämlich wirklich ernst. Denn während Judas, Jesus und Co von einem Deutschpop-Hit in den nächsten schwanken, schleppen ein paar gläubige Christen ein sechs Meter langes Kreuz durch Kassel – und erzählen währenddessen stolz von ihren Sünden, ihrer Nächstenliebe und ihrem Glauben. Für sie scheint die Show ein religiöses Highlight zu sein, bei dem sie auch offen vor tausenden Zuschauer:innen über ihre jahrelangen Affären sprechen können. So als wäre das hier eine Gruppenbeichte.

Warum? Wir wissen es nicht. Aber uns als Publikum hilft eben dieser Szenenwechsel bei einer Erkenntnis: Wir sind einfach nicht die Zielgruppe des Cringefestes. Oder zumindest nicht jene Zielgruppe, die das ganze hier ernst nimmt. Das heißt jedoch nicht, dass wir die Produktion nicht feiern. Denn auch, wenn für uns dahinter keine spirituelle Erfüllung steckte, eine Erfüllung war es trotzdem. Dass man so herzhaft über etwas lachen kann, passiert schließlich nicht jeden Tag. Es ist also eigentlich eine Win-win-Situation; das zeigen auch die mehr als 2,2 Millionen Zuschauer:innen, die laut RTL bei dem TV-Event zugeschaltet waren. Und ein Blick in die Sozialen Medien beweist: „Die Passion“ hat die Menschen auch online zusammengebracht (aber eben in einer kollektiven Kritik). Und das kann man doch eigentlich als Erfolg verbuchen, oder?

Übrigens: Falls ihr das Spektakel verpasst habt (oder es einfach noch einmal sehen müsst): „Die Passion“ kann man auf RTL+ streamen.