Die Gefahr von Sex Mobs in Österreich seit der Flüchtlingswelle
„Immer mehr Sex Mobs wüten in Schwimmbädern!“, „Sex Mob wütet auch in Österreich!“, „Jetzt auch in Salzburg sieben Sex Mob-Anzeigen“, so und so ähnlich lauteten die Überschriften zahlreicher Medienberichte des letzten halben Jahres. Dabei fällt ein Begriff in diesem Zusammenhang besonders oft: Asylwerber.
Seit den Übergriffen von Köln und Hamburg in der Silvesternacht weiß wohl so ziemlich jeder, was ein Sex Mob ist: Ein Sex Mob bezeichnet eine Gruppe Männer, die eine oder gleich mehrere Frauen und Mädchen bedrängen, sie berühren, häufig auch zu sexuellen Handlungen zwingen. Ein Horror-Szenario für die Betroffenen. Die Täter bleiben, wie in der Silvesternacht, häufig ungestraft: Von über 900 Anzeigen gab es laut Medienberichten bislang vier Verurteilungen. Es sind Berichte wie diese, die die Bevölkerung verstören und Angst verbreiten.
„Kann man die Kinder überhaupt noch allein Baden gehen lassen?“
Dazu kommt, dass zahlreiche österreichische und deutsche Bäder Erklärungen anhand von Piktogrammen veröffentlicht haben, die zeigen, wie sich Frau und Mann im Freibad zu begegnen haben. Vor allem wird jungen Asylwerbern erklärt, was man nicht tun darf: Jemanden im Bikini fotografieren, Starren oder anzügliche Bemerkungen machen, zum Beispiel.
Dieses Thema hat erneut für Aufsehen gesorgt – und für reichlich Diskussionsstoff: Kann man sich im heimischen Schwimmbad jetzt nicht mehr sicher fühlen? Kann man die Kinder nicht mehr getrost im Wasser plantschen oder gar alleine aufs Klo gehen lassen? Die Bevölkerung ist besorgt und unsicher. Aber wie real ist die Gefahr einer sexuellen Belästigung durch Asylwerber denn nun wirklich?
miss hat beim Österreichischen Bundesministerium für Inneres nachgefragt. Wir wollten wissen, ob die Zahl der Strafanzeigen gegen Asylwerber gestiegen sind. Wir wollten Zahlen und Fakten.
Anzeigen insgesamt gestiegen – Dunkelziffer allerdings hoch
Die Zahlen des BMI sind recht eindeutig: Seit 2006 sind die Zahlen der Anzeigen von sexueller Belästigung nach § 218 des Strafgesetzbuches insgesamt leicht angestiegen, allerdings werden die Taten weitgehend von Österreichern verübt. 2006 waren es zum Beispiel von 1.045 angezeigten Fällen und 532 ermittelten Tatverdächtigen 399 Inländer. 2010 wurden von 1.120 angezeigten Fällen 733 Personen ausfindig gemacht: 481 Personen davon waren Inländer, 252 davon Ausländer. 2015 konnten von 1.228 angezeigten Fällen 782 Tatverdächtige erhoben werden. Die Bilanz: 506 Täter waren Inländer, 276 Ausländer:
Wie sieht es bei den Hilfsorganisationen für Frauen aus: Steigen die Hilferufe? Stellen wie der Notrufberatung für vergewaltigte Frauen und Mädchen oder das Beratungs- und Therapiezentrum für MigrantInnen Peregrina verneinen: Man habe keinen signifikanten Anstieg bemerkt, seit Beginn der Flüchtlingswelle 2015. Überhaupt wurde kein Fall von Sex Mobs durch Flüchtlinge an die MitarbeiteInnen herangetragen.
Irrationale Angst vor „dem Fremden“?
Wie kann es dann sein, dass man in den Medien ständig von „vermehrten Übergriffen durch Ausländer“ spricht, die Statistik aber deutlich zeit, dass die meisten ermittelten Tatverdächtigen bei sexueller Belästigung Österreicher sind?
Man muss dazu sagen: Unsere Zahlen zeigen die Anzeigen von „sexueller Belästigung und öffentlichen, geschlechtlichen Handlungen“, die nach § 218 StGB definiert sind. Anfang 2016 hat dieser Paragraf eine Erneuerung erfahren: Griffe auf den Po und den Oberschenkel gelten nun erstmals auch als sexuelle Belästigung. Diese Fälle sind in der Statistik noch nicht gesondert erfasst. Welche Auswirkungen das auf das Gesamtergebnis hat, kann man also nicht sagen.
Medien als Stimmungsmacher
Festhalten kann man jedenfalls, dass Menschen durch Medienberichte das subjektive Gefühl bekommen, Vorfälle dieser Art würden sich häufen – auch, wenn sie das statistisch gesehen nicht in dem Ausmaß tun, das von vielen Medien angenommen wird. Die Frage, die man sich nun tatsächlich stellen muss, ist, ob Medien uns ängstlicher machen. Fritz Hausjell, Medienhistoriker und Professor an der Universität Wien, ist im Interview mit dem Standard über Terror definitiv der Meinung, dass uns Facebook & Co ängstlicher machen: „Einerseits liegt das an der Vielzahl der Meldungen, andererseits daran, dass sie von vielen Seiten auf uns zukommen, darunter von Freunden, die Nachrichten teilen und die wir für glaubwürdig halten„.
Viele Sexualstraftaten passieren im näheren Familien- und Bekanntenkreis
Es ist also ein weitverbreiteter Irrglaube, dass jede sexuelle Gewalttat zur Anzeige gebracht wird: „Oft ist es so, dass Frauen die Täter nicht ganz freiwillig anzeigen„, wird uns im Verein Notruf mitgeteilt, „Frauen haben nach sexuellen Übergriffen zwar schon oft den Wunsch nach Konfrontation des Täters mit der Sache, allerdings scheuen sich viele vor einer Anzeige.“
Denn was in den Medien oft ausgeblendet wird: Viele sexualisierte Gewaltstraftaten passieren im näheren Bekannten- und Familienkreis, wie diese Grafik zeigt:
Und das sind häufig Fälle, die nicht oder erst sehr spät zur Anzeige gebracht werden. In einem Bericht der Presse vom Jänner 2016 hieß es: „Die Fallzahlen sexueller Belästigung und Vergewaltigung stiegen seit 2006 tendenziell. Der Anteil ausländischer Personen unter den Tatverdächtigen liegt zum Teil über 50 Prozent. Unter diesen Tätern ist jeder sechste Asylwerber.“ Ein erfahrener Ermittler aus dem Bereich Sexualdelikte wird zitiert: Dieser meint, dass „ein Gutteil der Anzeigen in Wahrheit Verleumdungen seien. Umgekehrt sei das Dunkelfeld bei Sexualstraftaten sehr hoch und die Beweisführung wegen der oft engen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Tätern und Opfern schwierig.“ Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie eben z.B. im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis vorherrschen: Wenn es der Freund des Freundes ist, der Kollege oder Schulfreund – oder die Tochter zum Beispiel den Stiefvater anzeigt.
Im Verein Notruf erklärt man uns: „Meistens werden die Verfahren eingestellt, es kommt selten zu einer Verurteilung: Mädchen ziehen selber oft zurück, können dem Druck der Familie nicht standhalten und fühlen sich für den Zusammenhalt der Familie verantwortlich.“ Es ist der Mangel an Beweisen, der zur Einstellung der Verfahren führe. „Zu Sex Mobs kommt es schon häufig, aber nicht erst seit Flüchtlingswelle: auch dann waren es häufig Bekannte, die die Frauen mit k.O.-Tropfen betäuben und das Szenario filmen. Die Frau weiß dann oft nicht, was passiert ist.“
Zur Prävention von sexuellen Übergriffen
Wer sich in einer Situation wiederfindet, in der er in einem öffentlichen Raum von einer Gruppe bedrängt wird, dem wird vom BMI geraden, sich folgendermaßen zu verhalten:
- Vertrauen Sie Ihrem Gefühl! Sie allein bestimmen Ihre Grenzen. Sie allein bestimmen, wer Ihnen wie nahe kommen darf und wer nicht.
- Setzen Sie deutliche Grenzen. Je früher desto besser.
- Stellen Sie mit Worten und Gesten klar: „Bis hierher und nicht weiter“. Damit signalisieren Sie Stärke und weisen Ihr Gegenüber in die Schranken.
- Sagen Sie klar und deutlich, was Sie wollen bzw. was Sie nicht wollen. Verwenden Sie dabei einfache, klare Sätze wie „Gehen Sie weg!“, „Lassen Sie das!“ oder „Hören Sie auf!“
- Diskutieren Sie nicht mit dem Belästiger, Sie müssen sich nicht rechtfertigen!
- Wenn Sie Hilfe durch dritte Personen benötigen, sprechen Sie diese direkt und bestimmt an und fordern Sie diese auf, Sie zu unterstützen.
- Wenn Sie alleine und in Bedrängnis sind, rufen Sie jemanden an, sagen Sie der Person laut und deutlich, genau wo Sie sind und in welcher Situation Sie sich befinden. Viele Belästiger schreckt das bereits ab.
- Wenn Sie bedroht werden, rufen Sie die Polizei unter 133.
Eltern mit Kindern wird folgendes empfohlen:
- Übergriffe passieren im überwiegenden Teil bei den Umkleidekabinen und den Toilettenanlagen. Begleiten Sie ihr Kind oder Ihre Kinder nach Möglichkeit zu diesen Räumlichkeiten.
- Wenn Kinder von jemandem angesprochen werden, müssen sie wissen, dass sie nicht mit fremden Personen mitgehen dürfen. Es gibt z.B. die Möglichkeit zwischen den Eltern und dem Kind ein Codewort zu vereinbaren. Dieses kann genannt werden, wenn von den Eltern eine Person zu dem Kind geschickt wird.
- Die Kinder sollen auf ihr Baugefühl achten und dieses auch ernst nehmen.
- Vermitteln Sie Ihrem Kind oder Ihren Kindern, dass sie NEIN sagen können, auch zu Erwachsenen.
- Die Kinder können bei Gefahr Hilfe suchen bzw. rufen. Sie sollen das Gefühl haben, dass sie nicht alleine sind und dass ihnen z.B. der Bademeister, der Kassier oder ein Erwachsener hilft und ernst nimmt.
Dass Prävention allerdings allein nicht schützen kann, muss man nicht erwähnen. In jedem Fall sollte man sich als Betroffene an einen Notdienst wenden – und die Tat zur Anzeige bringen.
Kontakte:
Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen
Peregrina – Beratungs- und Therapie- und Bildungszentrum für Migrantinnen jeglicher Herkunft
Frauenberatungsstelle Orientexpress