Die Diktatur der Fruchtbarkeit: Wie es in Österreich zur Fristenlösung bei der Abtreibung kam
Ende 2020 hat Argentinien nach langen Protesten von Frauenrechtsbewegungen endlich die Abtreibung legalisiert. In anderen Ländern, wie in Polen, verabschiedet man unterdessen restriktivere Gesetze, die den Schwangerschaftsabbruch erschweren. In Österreich ist die Situation seit den 70ern unverändert. Hier gibt es die Fristenlösung.
Seit 1975 kann eine Schwangerschaft bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei abgebrochen werden. Wie aber kam es zu dieser Regelung? Und haben wir Österreicherinnen tatsächlich absolutes Selbstbestimmungsrecht, wenn es um den Umgang mit unserer Fruchtbarkeit geht?
Abtreibung in Österreich
Ende 2020 war das Thema Abtreibung wieder in den österreichischen Medien. Es ging um eine Forderung nach einer bundesweiten Abtreibungsstatistik vonseiten des Bischofskonferenz-nahen Vereins „Aktion Leben“. Während sich zwei Regierungsmitglieder dafür aussprachen, sehen Gegner dieses Vorhaben als Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte der Frau. Ansonsten hat sich in Österreich seit den 70ern in Bezug auf das Abtreibungsrecht nicht viel getan. Blicken wir ein wenig zurück in die Vergangenheit, um zu verstehen, wie es zur aktuellen Situation der Fristenregelung kam.
Fruchtbarkeit: Ein politisches und religiöses Thema
Der Fruchtbarkeit von Frauen wurde historisch gesehen immer schon mehr Interesse entgegengebracht als jener von Männern. Frauen trugen Kinder aus. Frauen zogen Kinder auf (meistens). Kinder waren die Zukunft des Volkes. Die Fähigkeit der Frauen, Kinder zu gebären, war also auch von politischem Interesse. Allerdings nicht nur, denn auch Religion und Glaube spielten eine große Rolle.
Vom Tod durch das Schwert bis zum Mutterkreuz
Bestes Beispiel in Österreich ist die Zeit unter der Kaiserin Maria Theresia. Sie wird heute noch als starke Regentin und Mutter von 16 Kindern dargestellt. Frauen hatten es unter ihrer Regentschaft allerdings nicht so einfach. Mit der 1768 entworfenen und in Kraft getretenen Constitutio Criminalis Theresiana gab es erstmals ein einheitliches Strafrecht für alle Habsburgerländer außer Ungarn. Abtreibung wurde mit dem Tod durch das Schwert bestraft. 2013 zeigte die Filmemacherin und Journalistin Susanne Riegler in ihrem Film „Der lange Arm der Kaiserin“ den Einfluss Maria Theresias auf das Thema Abtreibung bis in die heutige Zeit. Als nicht zu unterschätzenden Grund für die Einstellung der Kaiserin gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen sieht Riegler den strengen Glauben Maria Theresias.
Auch in der Zeit des Nazi-Regimes spielten Mütter eine besondere Rolle. Das nationalsozialistische Frauenbild drängte das weibliche Geschlecht zunehmend aus der Öffentlichkeit. Frauen wurden auf ihre Rolle als Gebärende und Mütter reduziert. Die damals bestehenden Gesetze von 1852 erlaubten zwar keine Abtreibung, allerdings wurde darüber hinweggesehen, wenn die Schwangerschaft das Leben der Mutter gefährdete. Deswegen führte man 1934 die Paragrafen 344 und 357a sowie 1937 das „Bundesgesetz zum Schutze des keimenden Lebens“ ein. Ab 1938 wurde das sogenannte Mutterkreuz vergeben. Eine Auszeichnung für „kinderreiche“ deutsche Mütter. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschwand das Mutterkreuz ebenso wie das Gesetz zum „Schutze des keimenden Lebens“. Die anderen strengen Gesetze blieben aber bis 1975 bestehen.
Forderung nach Entkriminalisierung
Nachdem während des NS-Regimes die Abtreibung mit der Todesstrafe geahndet wurde, kehrte man zu Beginn der Zweiten Republik zum mariatheresianischen Paragraf 144, der den Schwangerschaftsabbruch generell unter Haftstrafe stellte, zurück. Der Schwangerschaftsabbruch war also illegal. Diese Situation trieb viele Frauen dazu, Abtreibungen still und heimlich von sogenannten Engelmacherinnen durchführen zu lassen. Ein gefährliches Unterfangen, was oft zu Krankheit oder sogar Tod führte.
In den frühen 70ern erhob die autonome Frauenbewegung in Österreich schließlich die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs zu einer ihrer zentralen Forderungen. Dabei bekam sie Unterstützung von Frauen der KPÖ und Sozialdemokratinnen.
Die Fristenlösung: Ein Kompromiss
1971 gewannen die Sozialdemokraten erstmals die absolute Mehrheit im Parlament. Justizminister Christian Broda legte daraufhin einen Entwurf für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vor. Dieser Entwurf enthielt aber nur die Möglichkeit des Abbruchs bei bestimmten Umständen, also etwa bei medizinischer Indikation. Schließlich konnte sich der Vorschlag der Fristenlösung, also eine straffreie Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche, als Kompromiss durchsetzen. Doch ganz ohne Hürden ging es dann doch nicht. 1973 stimmte der Nationalrat mit den Stimmen der SPÖ gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ dem Antrag zur Fristenregelung zu. Im Dezember 1973 legte der Bundesrat gegen das neue Strafgesetz ein Veto ein. Daraufhin musste der Nationalrat im Jänner 1974 einen Beharrungsbeschluss fassen. Die Fristenlösung trat schließlich am 1. Jänner 1975 in Kraft.
Mit der Einführung der Fristenregelung wurde Frauen im Hinblick auf ihre Fruchtbarkeit erstmals annähernd so etwas wie Selbstbestimmung eingeräumt. Seither ist ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach einer Beratung durch eine Ärztin oder einen Arzt erlaubt. Auch nach diesem Zeitpunkt kann die Schwangerschaft abgebrochen werden, wenn die Gesundheit beziehungsweise das Leben der Schwangeren bedroht ist, wenn bei dem Kind eine schwere geistige oder körperliche Behinderung zu erwarten ist und wenn die Frau zu dem Zeitpunkt, als sie schwanger wurde, das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Seither gilt, die Fristenlösung – als Kompromiss zwischen den Parteien. Ein Kompromiss, der nicht zuletzt durch den Einfluss der katholischen Kirche zustande gekommen war.
Wie selbstbestimmt sind Österreicherinnen?
Seither wird dem Thema Abtreibung in Österreich wenig Beachtung geschenkt. Viele Frauen gehen davon aus, dass ein Schwangerschaftsabbruch hierzulande ohnehin legal sei. Dass Abtreibung in unserem Gesetzbuch noch immer als Straftatbestand niedergeschrieben ist, darüber redet niemand. Die Kosten für einen Abbruch werden zudem von der Krankenkasse nur dann übernommen, wenn ein medizinischer Grund vorliegt. Ansonsten muss man den Eingriff selbst bezahlen. In Österreich kostet das zwischen 300 und rund 1000 Euro. Dass in der Realität vor allem Frauen – die noch immer durchschnittlich weniger verdienen als Männer- für diese Kosten aufkommen müssen, darüber redet auch niemand. Wie viel Selbstbestimmung in Bezug auf unsere Fruchtbarkeit haben wir Frauen hierzulande also tatsächlich?