#dichterdran: Twitter-Trend zeigt Sexismus in der Literaturbranche auf
Seit Anfang August gibt es einen neuen Twitter-Trend. Unter #dichterdran schreiben Autorinnen so über ihre männlichen Kollegen, wie Kritiker sonst nur über Frauen schreiben. Der Hashtag soll den Sexismus in der Literaturkritik aufzeigen. Ein Tweet einer Journalistin war ausschlaggebend für die Aktion.
Nadia Brügger regte sich auf dem Mikroblogging-Dienst über eine Rezension der Schweizer Zeitung „Tages-Anzeiger“ auf. Der Verfasser des Artikels schrieb darin über das Buch einer jungen Schriftstellerin, befasste sich aber vorwiegend mit dem Aussehen der Autorin.
Ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen
Eigentlich hätte sich der Journalist vor allem mit dem Debütroman „Gespräche mit Freunden“ der Irin Sally Rooney beschäftigen sollen. Viel wichtiger schien ihm aber das Aussehen der Schriftstellerin, besonders auf einem Foto im amerikanischen Magazin „The New Yorker“. Der Journalist beschrieb Rooney darauf als „aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen“. Die Schweizer Journalistin Nadia Brügger regte das so auf, dass sie ihren Unmut auf Twitter öffentlich machte. Schnell wurde klar, dass derartige Kritiken über Autorinnen alltäglich sind.
Solche Rezensionen… sind so dermassen peinlich, dass ich mich eigtl gar nicht darüber aufregen möchte, muss aber doch. Kann bitte ich das nächste Mal 1 schreiben, @tagesanzeiger, u zwar ohne die Autorin unnötig zu sexualisieren und ihre Leistung grossväterlich zu schmälern? pic.twitter.com/hhfhR8ycEv
— Nadia Brügger (@NadiaBruegger) August 2, 2019
#dichterdran: Frauen schreiben Kritiken über männliche Autoren
Gemeinsam mit der Journalistin und Autorin Simone Meier und der Regisseurin und Autorin Güzin Kar startete Brügger daraufhin den Hashtag #dichterdran. Unter diesem posteten sie Kritiken über männliche Autoren im Stil, wie man sonst nur über Frauen in der Branche schreibt. In kurzer Zeit machten auch andere Twitter-User mit und der Hashtag ging schnell viral. Die Aktion zeigt, dass auch Sarkasmus und Humor gute Methoden sind, sich gegen Sexismus zu wehren. Viele der Tweets sind wirklich lustig und sehr lesenswert. Egal ob Thomas Mann oder James Joyce: Kein namhafter Schriftsteller bleibt bei der Aktion verschont.
Dem steifen, oft verkniffen wirkenden Thomas Mann raten wir, etwas häufiger zu lächeln. #dichterdran
— Barbara Flueckiger (@flueko) August 7, 2019
Es scheint, als könne sich James Joyce in „Ulysses“ nicht entscheiden, ob er der Leserin allzu selbstoffenbarende Vulgaritäten aufdrängen will, oder aber den vollendeten Modernismus einer Virginia Woolf kopieren. In jedem Falle tut er sich damit keinen Gefallen. #dichterdran
— Elisabeth Klar (@Sam_O_Dor) August 9, 2019
Sexismus in der Literaturbranche
Es ist bekannt, dass Schauspielerinnen und Sängerinnen von den Medien oft auf ihr Äußeres reduziert werden. Dass Schriftstellerinnen mit den gleichen Problemen kämpfen müssen, zeigt, wie selbstverständlich es in unserer Gesellschaft ist, Frauen und Männer nach unterschiedlichen Kriterien zu bewerten. Es scheint absurd und ironisch, wenn man bekannte männliche Schriftsteller im Hinblick auf ihr Aussehen oder ihr Privatleben kritisiert. Thomas Mann beispielsweise als Hausmann, der nur nebenbei Bücher verfasst, zu beschreiben, bringt einen zum Schmunzeln. Umgekehrt meinen viele Journalisten es aber ernst, wenn sie in Kritiken auf diese Weise über Autorinnen schreiben. Der witzige Twitter-Trend hat also durchaus einen wichtigen Hintergrund. Ob Journalisten in Zukunft nach gleichen Maßstäben bewerten, wird sich zeigen. Bis dahin, gibt es hier noch eine Auswahl der besten #dichterdran-Tweets:
«Während die beeindruckende Katja Mann erfolgreich die Fabriken ihres Vaters leitete, kümmerte sich Gatte Thomas liebevoll um die Kinder. Daneben schrieb er Bücher.» #dichterdran
— Simone Meier (@SimoneMeier3) August 4, 2019
Ironie, Satire und Persiflage sind hingegen vermutlich zu subtil, um von den meisten Männern verstanden zu werden. Es scheint, als sei gerade unter sogenannten emanzipierten Männern Humorlosigkeit weit verbreitet. Nicht umsonst sind die meisten Komikerinnen Frauen. #dichterdran https://t.co/h2oFDGXy0t
— Elisabeth Klar (@Sam_O_Dor) August 11, 2019
Max Frisch schreibt auch immer wieder über seine Potenzprobleme und gewährt damit spannende Einblicke in die männliche Sexualität. Und man fragt sich, ob Lynn so überhaupt auf ihre Kosten kam. #dichterdran
— The Real Christian Ruch (@ChristianRuch) August 11, 2019
„Wie stets im eleganten Dress, sich seiner sinnlichen Ausstrahlung bewusst, sitzt er mir gegenüber: Durs Grünbein, der Robert Redford der deutschen Gegenwartsliteratur, seit Jahrzehnten Verlegerinnen und Kritikerinnen den Kopf verdrehend.“ #dichterdran pic.twitter.com/2Qn7j0asNN
— Alsergrundler (@Alsergrundler) August 4, 2019
Sie sehen blendend aus für Ihr Alter, Chapeau! Verraten Sie uns Ihre drei Must-Have-Körperpflege-Produkte, Frank Schätzing? #dichterdran
— Güzin Kar (@Guzinkar) August 4, 2019