Das sagt der Experte
Die Fragen hat uns Dominik Borde (Beziehungscoach bei sozialdynamik.at) beantwortet.
Warum lassen sich Paare auf offene Beziehungen ein?
Was viele reizt, ist die scheinbare Unverbindlichkeit und die Mischung aus Distanz und Nähe. Die Frage ist ja auch, wie man das Wörtchen „offen“ auf den Alltag zweier Liebender überträgt. Hier ein Versuch, mit Affären und ohne Monogamie auszukommen:
Sie: „Hi Schatz, na, spät kommst du heute heim, was war denn los bei dir, ich hab am Nachmittag versucht, dich zu erreichen?“
Er: „Du, nix, ich hab die Nachbarin gevögelt und hatte Probleme damit, gleichzeitig zu telefonieren, während sie mir …“
Sie: „Ach so, na, da bin ich jetzt aber erleichtert, Hauptsache, es geht dir gut und du bist jetzt da. Hast du Hunger?“
Er: „Du, nein, ich hab schon was gegessen, der Sex war total anstrengend und nachher haben wir uns eine Pizza bestellt.“
Sie: „Na dann, macht ja nix, ess ich halt allein, übrigens, morgen treff ich mich mit meinem Arbeitskollegen, kann länger dauern, wenn du weißt, was ich mein …“
Er: „Das ist gegen die Regel! Wir haben ausgemacht: nur mit Leuten, die wir nie wieder sehen.“
Sie: „Na, da redet der Richtige, die Nachbarin ist ja auch nicht gerade aus der Welt, oder?“
Er: „Aber das ist doch total was anderes, komm her, lass uns nicht drüber streiten. Hauptsache, jeder von uns kann seine Freiheit genießen und wir sagen uns immer die Wahrheit!“
Sie: „Stimmt, geh duschen und dann kuscheln wir auf der Couch zusammen und schauen Dancing Stars …“
Ich bin nicht sicher, ob das für die meisten
Menschen ohne jede Eifersucht klappt!
Worauf muss man bei diesem Beziehungsmodell achten?
Beide Partner müssen dem gleichermaßen ehrlich zustimmen und sich darüber einig sein. Wenn einer in Wirklichkeit Treue will und die Untreue des anderen quasi erduldet, weil er ihn/sie nicht verlieren will, wird die Beziehung langfristig scheitern.
Die Basis jeder glücklichen Beziehung ist gegenseitiges Vertrauen und Ehrlichkeit. Sobald Dritte an der Intimität des Paares teilhaben, besteht die Gefahr, dass ein Teil dieses Grundvertrauens stirbt. Was dann übrig bleibt, kann auch funktionieren – als Arrangement, nicht als Liebe.
Wie geht man am besten mit Eifersucht um?
Wer seinen Partner loswerden will, ist eifersüchtig. Treue ergibt sich aus Liebe und nicht aus Klammern und Fordern! Wer sich verhält, als hätte er ein Recht darauf, den anderen für immer für sich zu behalten, wird ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren!
Das fordernde Verlangen nach unbedingter Treue ist eine Anmaßung, Treue wird mir aus Liebe geschenkt und nicht, weil es mein Recht ist.
Glücklich in einer offenen Beziehung und
eifersüchtig auf den Partner zu sein, schließen einander aus.
Ist ein Trend zu erkennen? Haben mittlerweile mehr Leute offene Beziehungen als noch vor zehn Jahren?
Die Zeiten haben sich aus vielerlei Gründen geändert. Für die überwiegende Mehrheit ist Treue nach wie vor ein Muss in der Beziehung, aber mehr und mehr setzen sich auch Verbindungen durch, in denen ein Seitensprung oder eine Affäre nicht gleich als Trennungsgrund gesehen werden.
Warum geht es in diese Richtung?
Unsere gesellschaftlichen Werte sind stark im Wandel, früher haben vor allem religiöse Einflüsse
unser Bild von Liebe in eine treue, monogame Richtung geprägt. Die wachsende Scheidungsrate und die Erfahrung der meisten lässt uns das perfekte Bild der großen Liebe mehr und mehr anzweifeln.
Kann man sagen, ob im Schnitt mehr Männer oder Frauen eine offene Beziehung vorschlagen?
Der Weg in den Swingerclub wird meistens eher von Männern vorgeschlagen, es gibt aber auch immer mehr Frauen, die Lust und Liebe trennen wollen.
Ein unbedachter Satz des Partners, ein lustvoller Blick auf jemand anderen kann uns stark verunsichern und tief verletzen. Das Risiko, trotz aller guter Vorsätze die Beziehung nachhaltig zu sabotieren, ist in der offen gelebten Beziehung besonders groß.
Beeinflussen Social Media und unzählige Dating-Plattformen das Modell einer klassischen, monogamen Beziehung?
Wer die Wahl hat, hat die Qual …
Die stets steigenden Möglichkeiten, mit Fremden in Kontakt zu treten, und die scheinbare Verfügbarkeit von unzähligen möglichen Partnern lässt uns leichter daran zweifeln, ob wir das Nonplusultra schon gefunden haben.
Tatsache ist: Beziehungskrisen entstehen meist nicht, weil wir uns den „falschen“ Partner ausgesucht haben, sondern weil wir mit dem richtigen falsch kommunizieren. Serielle Monogamie erscheint uns einfacher als sich gemeinsam weiterzuentwickeln.
Man hört immer wieder, dass Monogamie beim Menschen unnatürlich ist – ist das so?
Monogamie ist nicht natürlich, sondern eine
kulturelle Entwicklung, die wir uns mit der Zeit angeeignet haben. Wenn wir frisch verliebt sind, wünschen sich nahezu alle Menschen die ewige und treue Liebe mit nur einem Partner.
Der Exklusivitätsanspruch wird meist so lange gelebt, bis sich Mängel in der bestehenden Paarbeziehung bemerkbar machen. Experten sagen: Der Mensch ist als soziales Wesen eindeutig für die Liebe programmiert, aber nicht zwingend für Exklusivität mit einem Partner.
Seitensprünge und Affären sind immer mehr ein Bestandteil des Sexualverhaltens in unserer Kultur. Letztlich muss jede und jeder individuell entscheiden, wie er/sie leben möchte und wie nicht. Ich halte es für wichtig, die Bereitschaft zur Treue oder ihre Definition innerhalb einer Beziehung individuell zu klären – und fernab von Treueschwüren eine Vereinbarung zur gegenseitigen Ehrlichkeit zu treffen.
Was halten Sie vom Begriff Mingle?
Meiner Erfahrung nach wünschen sich die meisten Menschen eine glückliche Liebesbeziehung auf Augenhöhe, exklusiv mit einem Mann, einer Frau, der/die richtig auf dich steht – treu, leidenschaftlich und am besten für ein ganzes Leben. Das geht sich aber mit Mingeln nicht aus.
Spitz formuliert könnte man sagen: Die Herangehensweise ist ein wenig österreichisch, nach dem Motto: Bloß auf nichts festlegen, schau’n wir mal, das seng ma scho. Dieses Label hebt den Status von denen, die noch nicht den oder die Richtige gefunden haben. Es schwingt
immer die Idee mit, ganz ICH bleiben zu
können, ohne für das WIR etwas aufgeben
oder tun zu müssen.
>> Drei Erfahrungsberichte von Menschen, für die das monogame Beziehungsmodell nicht infrage kommt.