Coronavirus-Notstandsgesetz: Parlament in Ungarn faktisch entmachtet
Das Parlament in Ungarn hat dem Notstandsgesetz der Regierung von Viktor Orbán am 30. März zugestimmt. Regieren per Dekret ist nun auf unbestimmte Zeit möglich.
Menschenrechtsorganisationen, der Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zeigen sich besorgt über diese Entwicklung.
Coronavirus-Krise: Parlament in Ungarn entmachtet sich selbst
Durch das umstrittene Notstandsgesetz der ungarischen Regierung ist es möglich, den seit 11. März aufgrund des Coronavirus geltenden Notstand auf unbestimmte Zeit zu verlängern, Parlament und Gewaltenteilung auszuhebeln und per Dekret zu regieren. Per Dekret regieren bedeutet, dass die Regierung Verordnungen beziehungsweise Erlasse herausgeben kann, die dann sofort Gesetzeskraft haben. In einem demokratischen Staat werden Gesetze eigentlich durch ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren vom Parlament beschlossen.
Das ungarische Parlament kann durch das neue Gesetz faktisch keinen Einfluss mehr nehmen. Auch die parlamentarische Kontrolle des Notstands an sich wurde ausgehebelt. Eigentlich muss das Parlament alle 15 Tage bestätigen, dass weiterhin eine Gefahrenlage im Land herrscht. Das ist nun nicht mehr notwendig. Als Gefahrensituation versteht man in Ungarn beispielsweise Naturkatastrophen, industrielle Katastrophen oder eben Pandemien.
Notzustand in Ungarn
Der Notzustand in Ungarn ermöglicht – wie in vielen anderen Ländern auch – der Regierung weitgehende Eingriffe. So können etwa die Bürgerrechte ausgesetzt werden. Laut dem Gesetzesentwurf von Viktor Orbán sollen zudem auch geplante Wahlen und Volksabstimmungen nicht stattfinden. Für Fake News und „Behinderung der Epidemiebekämpfungsmaßnahmen“ soll es zudem mehrjährige Gefängnisstrafen geben.
Das Problem ist das zeitliche Limit
Die Coronavirus-Pandemie zwingt momentan zahlreiche Länder dazu den Notstand auszurufen und drastische Maßnahmen für die Bekämpfung des Virus zu setzen. Was Menschenrechtsorganisationen im Fall von Ungarn allerdings Sorge bereitet ist das zeitliche Limit. Denn das gibt es nicht. Für den Machtausbau der Regierung ist keine Frist festgeschrieben. Die Verordnung, die am 30. März vom Parlament mit einer Zweitdrittel-Mehrheit der Regierungspartei FIDESZ, abgesegnet wurde, sieht eine Verlängerung der Gefahrenlage bis zum Jahresende vor. Auch das Regieren per Dekret soll somit bis Ende 2020 möglich sein. Doch ein fixes Datum gibt es bisher nicht. Die Regierung muss also den Notstand von sich aus beenden. Grund dafür ist laut der ungarischen Regierung die Tatsache, dass man noch nicht wisse, wie lang die Epidemie im Land anhält.
Kritik an Orbáns Notstandsgesetz
Kritiker bezweifeln, dass mit Ende des Jahres die Notstandsmaßnahmen in Ungarn wieder der Normalität weichen werden. In den vergangenen Jahren hat die Regierungspartei FIDESZ seine Macht in staatlichen Institutionen sowie in der Wirtschaft immer weiter ausgebaut. Rechtsstaatliche Prinzipien wurden dabei häufig missachtet. Deshalb geriet die ungarische Regierung immer wieder mit der EU in Konflikt.
Amnesty International Ungarn warnte zudem davor, dass das beschlossene Notstandsgesetz einen „unendlichen und unkontrollierten Notstand schafft und Viktor Orbán und seiner Regierung einen Blankoscheck für die Beschränkung der Menschenrechte verleiht“. Der Europarat und das UNO-Menschenrechtsbüro riefen Ungarn ebenfalls dazu auf, ein Zeitlimit zu setzen. In Österreich stellen die Grünen und die NEOS vor allem Ungarns Platz in der EU infrage. „Wenn Orbán die ungarische Demokratie aushebelt, kann es für ihn keinen Platz in der EU geben“, erklärte beispielsweise der Europasprecher der Grünen, Michel Reimon.
Politiker fordern Einschreiten der EU
Inzwischen haben Nationalrats- und EU-Abgeordnete von SPÖ, Grüne und NEOS sowie der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas in einer gemeinsamen Erklärung ein „entschiedenes Einschreiten“ der EU-Kommission gegen Ungarn gefordert. Sie unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung, in der sie fordern, die Europäische Kommission müsse „umgehend Stellung beziehen und mit dem Europäischen Gerichtshof entschieden einschreiten“.