Hebamme im größten Flüchtlingscamp der Welt: „Was bleibt, ist der tiefe Respekt vor jeder Geburt“
Mehr als eine Million Menschen leben in der Region Cox’s Bazar in Bangladesch in notdürftigen Hütten – sie flohen vor Gewalt aus dem benachbarten Myanmar. Sie brauchen Nahrung, sauberes Wasser und medizinische Versorgung. Humanitäre Hilfe kommt auch aus Österreich. Das Österreichische Rote Kreuz entsendete 2018 insgesamt 25 Delegierte. Eine von ihnen ist Hebamme Josefa Fasching. Sie arbeitete von September bis Mitte Oktober fünf Wochen im Rotkreuz-Feldspital im größten Flüchtlingscamp der Welt. Nach ihrer Rückkehr erzählt sie von ihrem Einsatz.
„Das gesamte Spital hatte 60 Betten und die geburtshilfliche Abteilung im Ganzen zehn. Bei uns sind nur die wirklichen Notfälle gelandet. Wir haben viele Kaiserschnitte gemacht, denn das war oft die einzige Möglichkeit, um Mutter und Kind das Leben zu retten. Mein Arbeitsalltag hat sich dort grundsätzlich nicht viel vom Alltag in Österreich unterschieden. Die Hebammentätigkeit war im Großen und Ganzen gleich. Das Kreißzimmer befand sich allerdings in einem Zelt, genauso wie die Wochenbettstation. Die Schwangeren und Gebärenden sind dorthin zum Entbinden gekommen. Es gab sechs Wochenbetten, vier Ambulanzbetten – und das Kreißzimmer. Zwischen zwei und vier Hebammen waren tagsüber meistens vor Ort. In der Nacht war man meist alleine. Angst hatte ich nie, es war ja auch immer eine Ärztin im Dienst. Und grundsätzlich helfen wir Hebammen immer zusammen und unterstützen uns, wenn Not am Mann ist. Da spielt es keine Rolle, ob man bereits Dienstende hätte. Man hilft, wenn es die Situation erfordert.
Ich arbeite grundsätzlich gerne im Ausland, am liebsten dort, wo ich das Gefühl habe, dass Hebammen und sichere Geburtshilfe am dringendsten gebraucht werden. Und das war in Bangladesch sicher der Fall. Es war dennoch eine kurzfristige Entscheidung, den Einsatz anzutreten. Ich habe die Anfrage bekommen, da spontan Hebammen gebraucht wurden. Für mich war sofort klar, dass ich es mache. Ich habe es mir intensiv und anstrengend vorgestellt – und so war es dann auch. Bei einem derartigen Einsatz ist es sicher von Vorteil, wenn man schon einige Berufserfahrung hat. Der Team Spirit vor Ort war generell sehr gut. Alle hatten die gleiche Vision und dasselbe Ziel. Wir wussten, dass uns intensive Arbeitstage erwarten. Das ganze Krankenhaus war ganz toll organisiert und auch das einheimische Personal sehr gut geschult. Grund zu Verzweiflung oder Panik gab es nie.
Das schönste Erlebnis vor Ort hatte ich mit einer jungen Mutter, die ihr erstes Kind bekommen hat. Das Baby hat schlecht zugenommen und sein Zustand hat sich weiter verschlechtert. Ich habe dann zwei Stunden mit einem Übersetzer Stillberatung gegeben und bin ihr zur Seite gestanden. Die Frau hat ihre Schwiegermutter mit gehabt. Schwiegermütter kommen sehr oft mit, aber auch Freundinnen, Schwägerinnen, Schwestern. Wir sind so verblieben, dass wir uns einen Kontrolltermin in einer Woche ausgemacht haben. Dann sind sie aufgestanden und haben sich auf den Boden gekniet und mir die Füße gesegnet. Das war wirklich ein großes Dankbarkeitszeichen. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Während der Geburt zeigen die Frauen dort aber sehr wenig Emotion. Das ist vielleicht der Hauptunterschied zu österreichischen Verhältnissen. Sie äußern ihre Gefühle oft nicht, sie sind sehr ruhig und zurückhaltend. Das bedeutet für mich, dass ich mich relativ schnell auf die Situation einstellen musste, dass die Gebärenden nach außen hin stiller sind.
Was ich mir für immer und speziell nach so einem Einsatz beibehalten möchte, ist der tiefe Respekt vor jeder Geburt – vor Frauen, vor Müttern. Der Geburtsvorgang dauert unter den dortigen Umständen oft viel länger. Bis die Patientinnen ins Spital kommen, haben sie meist schon viel durchgemacht. Und dann ist es umso schöner, wenn es ihnen danach gut geht und ihre Babys gesund sind. Ich habe auch Yogastunden für die Mitarbeiterinnen gegeben. Wenn man den ganzen Tag steht, bekommt man Kreuzweh. Bei den Temperaturen kann man nicht viel machen, weil es wirklich sehr heiß und schwül war. Viel Freizeit hat es nicht gegeben. Aber das passt schon so.“
Josefa Fasching arbeitet seit 17 Jahren als Hebamme, aktuell selbstständig. Mehr als 700 Kindern hat sie auf die Welt geholfen. Die 50-jährige Oberösterreicherin war bereits mehrmals im Ausland ehrenamtlich tätig. Ihr nächster Einsatz führt sie im Dezember nach Westafrika. Das Rotkreuz-Feldspital, in dem sie stationiert war, hat seit Oktober 2017 geöffnet.