Ein Piercer erzählt seine schrägsten Erlebnisse und vor welchem bestimmten Piercing er warnt
Den Alltag eines Piercers stellt man sich ganz schön turbulent vor – aber gehören verrückte Kundenwünsche, Dramaqueens und Ohnmachtsanfälle tatsächlich zum Job, wie man sich das vielleicht in seiner Fantasie ausmalen mag? Fest steht, im Leben läuft nicht immer alles nach Plan, selbst wenn man noch so organisiert und erfahren ist. Davon kann eben auch Piercer Marc-André vom Piercingstudio Wien ein Liedchen singen. Wir haben ihn gefragt, was die lustigsten (und schrägsten) Erfahrung im Laufe seiner Karriere waren.
Die schrägsten Erlebnisse aus dem Alltag eines Piercers
Was waren die absurdesten Fragen, die dir Kunden jemals gestellt haben?
„Da gibt es natürlich viele. Ein 15-Jähriges Mädchen hat mich mal gefragt, wie lange es mit einem frisch gestochenen Bauchnabelpiercing auf Sex verzichten muss. Ich hab mich nur gewundert, wie denn ein Bauchnabelpiercing beim Geschlechtsverkehr stören könnte. Und im nächsten Moment hab ich mich gefragt, warum das die größte Sorge eines so jungen Mädchens ist. Manchmal sind vor allem mit Frauen mit frischen Intimpiercings sehr direkt, da muss ich oft schmunzeln. Besonders in Erinnerung ist mir die folgende Frage geblieben: ‚Wie kann ich mir mit einem frisch gestochenen Piercing am besten einen Orgasmus verschaffen, ohne dabei die Heilung zu gefährden? Und kann ich mich trotzdem täglich selbst befriedigen?‘. Da werd ich dann vom Piercingexperten auch irgendwie noch zum Sexratgeber.“
Gab es einmal eine richtig unangenehmen Situation?
„Ich bin seit elf Jahren im Geschäft und hatte eigentlich nie wirklich eine sehr unangenehme Situation. Ich bin darauf geschult, mit Menschen zusammen zu arbeiten und weiß, dass immer etwas Unvorhergesehenes passieren kann. Den Faktor ‚Mensch‘ kann man nicht kalkulieren. Meistens tun mir die Kunden nur leid, wenn sie mit Kreislaufproblemen zu kämpfen haben. Das kommt aber Gott sei dank recht selten vor, wir versorgen die Kunden vorher mit genügend Wasser und Traubenzucker. Trotzdem ist es einmal passiert, dass eine Kundin beim Stechen ohnmächtig wurde. Dabei ist ihr leider ein kleiner ‚Blasenunfall‘ passiert, was ihr anschließend natürlich sehr peinlich war. Aber so etwas kann einfach passieren, dafür kann man selbst nichts – und man muss sich auch nicht schämen. Ich hab’s einfach mit Humor genommen, das Missgeschick beseitigt und das war es dann auch. Das Schöne ist: Die Dame kommt heute immer noch zu mir ins Studio, um sich piercen zu lassen und wir können beide darüber lachen. Wichtig ist – egal was passiert – die Ruhe zu bewahren und die Ironie in der Sache zu finden.“
Versuchst du deinen Kunden ein Piercing auszureden, wenn du glaubst, dass es nicht passt?
„Das muss ich tun, denn letzten Endes macht jeder Kunde mit seinem Piercing für mich Werbung. Wenn das Piercing nicht gut aussieht, nicht zu der Person passt oder es einfach anatomisch nicht korrekt durchführbar ist, muss ich ihn oder sie vorher darüber informieren. Ich versuche dann auch, gute Alternativen zu finden. Letztens musste ich einer Kundin ein Piercing wieder ausreden. Sie betrieb Leistungssport und hätte die Heilung des Piercings an dieser Stelle damit gefährdet. Lieber einmal ’nein‘ sagen, als den guten Ruf verlieren.
Bei welchen Gründen sagst du sonst noch „nein“?
„Naja – normalerweise kommt es sehr selten dazu, dass ich einen Kunden wegschicke. Manchmal sind mir aufgrund gesetzlicher Grundlagen die Hände gebunden und ich darf ein Piercing nicht stechen, zum Beispiel wenn jemand offensichtlich unter Drogen steht oder wahrnehmungsbeeinflussende Mittel zu sich genommen hat. Es war auch einmal jemand da, der stark alkoholisiert war. Das haben wir auch abgelehnt. Einmal hatten wir auch ein junges Mädchen, das das Piercing ganz offensichtlich nicht wollte. Sie wurde von ihrer Clique mehr oder weniger unter Druck gesetzt, es sich stechen zu lassen, um zur Gruppe zu gehören – ganz nach dem Motto ‚Gruppenzwang‘. Da muss man dann schon mal ’nein‘ sagen, um den Kunden zu schützen. Ganz selten haben wir auch Kunden, wo wir schon von Anfang an merken, dass es nur zu Problemen kommen wird, wenn wir das Piercing stechen. Zum Beispiel, wenn sie von Anfang an signalisieren, dass sie sich nicht an die Pflegeanleitung halten werden und einem schon vorab die Klage androhen, falls das Piercing nicht gut heilt. Das hatten wir aber zum Glück nur einmal! Und: Bei Cheek-Piercings sage ich auch immer nein. Das Piercing geht durch die Wange und man kann dabei den Nervus facialis verletzen. Das kann zu schweren Infektionen, Komplikationen und sogar zu Lähmungen führen. Selbst wenn man beim Piercen an sich keine Gefäße oder Nerven verletzt, kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Infektion während der Abheilphase. Kaubewegungen und Speisereste reizen die frische Wunde ständig. Irgendwann hört jeder Träger des Cheek-Piercings auf, es zu tragen, weil man schlicht über die Maßen viele Probleme damit hat.“
Hast du deinem ersten Kunden gesagt, dass er der/die Erste ist?
„Ja, das habe ich. Das muss man auch. Es ist immer ein zweiter Piercer dabei, der den Vorgang beaufsichtigt und außerdem würde der Kunde es immer merken, dass man SUPER nervös ist. In meinem Fall war das ein Nasenpiercing, bei einer piercingerfahrenen Kundin. Sie fand mich wohl sympathisch und hat mir ihr Vertrauen geschenkt, was ich auch nicht missbraucht habe. Das Piercing ist schön geworden und die Kundin war total entspannt und absolut nicht nervös – was man von mir nicht behaupten konnte. Mir haben danach die Hände gezittert und ich hatte einen richtigen Adrenalinschub. Das kannte ich vorher nur vom Fallschirmspringen.“