Made by KI: Wie Künstliche Intelligenz die Mode- und Beautyindustrie verändert
Könnt ihr euch noch an Chers legendären Kleiderschrank in „Clueless“ erinnern, der ihr die passenden Outfits zusammenstellte? Dank künstlicher Intelligenz (KI) ist das schon lange kein Wunschtraum mehr, sondern technisch möglich.
Denn künstliche Intelligenz ist auch in der Mode- und Kosmetikindustrie angekommen – und könnte einiges auf den Kopf stellen.
Wie Künstliche Intelligenz Fashion und Beauty revolutionieren
ChatGPT schreibt unsere Bewerbungen, die Lensa-AI-App erstellt Porträts von uns und digitale Face-Scans ermöglichen es, die perfekte Foundationfarbe direkt von unserer Couch aus zu finden. Was früher nur Teil von kuriosen Science-Fiction-Filmen war, ist heute Realität: Willkommen in der Zukunft! Denn künstliche Intelligenz (KI) nimmt aktuell immer mehr Raum in unserem Leben ein. In manchen Bereichen wie etwa der Bildung sorgt das für jede Menge Aufregung. Bei anderen fällt uns die Umstellung gar nicht so drastisch auf, denn sie verläuft ziemlich fließend und unauffällig.
Oder habt ihr schon einmal hinterfragt, warum ihr bei manchen Onlinehändlern „Meine Größe“ angeben könnt oder Pinterest zu Bildern die passenden Kleidungsstücke und Onlineshops empfiehlt? Falls nicht: Ja, es handelt sich dabei um die Arbeit von KI. Dass ausgerechnet so kreative und individuelle Bereiche wie Mode und Kosmetik für KI interessant sind, ist übrigens keine Überraschung, betont Julia Neidhardt. Sie ist Leiterin des Christian Doppler Labors für Recommender-Systeme an der TU Wien und setzt sich in ihrer Arbeit intensiv mit künstlicher Intelligenz und Empfehlungssystemen auseinander.
Künstliche Intelligenz als neue Shoppingberatung?
„Deep Learning ist gut darin, Bilder und Texte zu analysieren. Da die Modeindustrie sehr stark gerade aus diesen Elementen besteht und alles mit Bildern dargestellt wird, kann da viel extrahiert werden“, erklärt Neidhardt. So kann mit den Systemen etwa eine große Bandbreite an unterschiedlicher Kleidung ganz genau untersucht werden. Die Maschinen erkennen dann detailgetreu, welche Farben, Schnitte, Formen und Designs häufiger vorkommen, und können dies in weiterer Folge auch nutzen. Neidhardt spricht etwa von der Chance, mithilfe von KI Trendanalysen zu machen oder gezielter Empfehlungen an die Konsument:innen abzugeben. Für sie liegt ein Vorteil von KI-Einsatz in der Personalisierung.
Konkret bedeutet das, dass mithilfe von KI das Onlineshopping-Erlebnis so sehr personalisiert wird, dass der Shop unsere passende Größe zielgenau auswählen kann. Er weiß auch, was uns gefällt, was uns steht und was zu unserem Warenkorb passt. Das Ziel: Rücksendungen könnten dadurch massiv reduziert werden. Diese sind ein aktuelles Problem, das nicht nur für die Modeunternehmen eine logistische Herausforderung ist, sondern auch die Umwelt stark belastet.
„Da gibt es etwa Ansätze, dass man die Kleidung virtuell anprobieren kann, mit einem Foto, das man hochlädt; so sieht man besser, was einem passt oder was einem gefällt“, schildert Neidhardt. Sie betont, wie wichtig in Zukunft Beratung und Kommunikation beim Onlineshopping sein werden. „Shopping ist etwas sehr Emotionales, und genau das muss man für die Empfehlungssysteme berücksichtigen. Es ist etwas anderes, ob ich Lifestyle-Produkte wie Kleidung oder Kosmetik empfehle oder Waschmaschinen“, betont sie. „Das ist nicht rational, da spielen so viele psychologische und soziale Aspekte eine Rolle. Es ist ein emotionales Gebiet, und genau deshalb sind Bilder so wichtig. Weil sich das immer mehr online verlagert, wird auch dieser Aspekt immer mehr in die Systeme integriert.“ Also wer weiß, vielleicht ist KI mithilfe von Chatbots und Co schon in naher Zukunft unsere nächste Shopping-BFF?
KI goes Runway
Doch nicht nur in den Bereichen Beratung und Empfehlung wird KI immer relevanter. Auch mit Blick auf Kollektionen und Designs spielt die Maschine eine immer größere Rolle. Wie viel mit künstlicher Intelligenz wirklich geschafft werden kann, zeigt etwa Calvin Wong aus Hongkong. Er wollte einen Weg finden, wie man KI in den Modedesignprozess einbinden kann. Das Ergebnis: AiDA (AI-based Interactive Design Assistant), ein KI-basierter interaktiver Modeassistent. Laut Wong ist AiDA das „weltweit erste und einzige von Designern geleitete KI-System“, mit dem nicht nur einzelne Outfits, sondern ganze eigene Kollektionen entwickelt werden können.
Bekommt AiDA nämlich genug Input durch hochgeladene Bilder, schafft das System eigene Kreationen; ein Schritt, der für Designer:innen eine ganz neue Welt der Inspiration eröffnet, betont Wong. Denn: „Für einen Modedesigner kann die KI als Assistent dienen, der ihm die Inspiration erleichtert und ihm hilft, seinen gesamten Designprozess zu beschleunigen. Mit ein paar einfachen Klicks kann das AiDA-System auf der Grundlage der vom Designer hochgeladenen Moodboard-Bilder originelle Designkollektionen erstellen.“
3.000 Entwürfe in zwei Tagen
Wie genau so eine KI-Kollektion aussehen könnte, zeigte AiDA bereits in Zusammenarbeit mit dem koreanischen Designerlabel BESFXXK und dem Label Anteprima. „In unserer Zusammenarbeit mit Anteprima haben deren Designer mithilfe von AiDA in zwei Tagen etwa 3.000 Entwürfe erstellt und dann 200 in die engere Wahl genommen, um in weiteren zwei Tagen die endgültigen Looks für die einmalige Capsule Collection, bestehend aus acht Outfits, zu kreieren. Ein so großes Volumen in diesem Zeitrahmen zu erreichen, ist ohne KI unmöglich“, so Wong.
Auch er sieht das Potenzial von KI in der Modebranche. Aber nicht nur im Design, sondern vor allem auch im Bereich der Personalisierung! „KI kann auch als Stylingberater für Outfit- oder Mix-and-Match-Empfehlungen und Outfitbewertungen trainiert werden, die mit dem Lernen von Kleidungsästhetik oder der Modellierung von Modekompatibilität verbunden sind“, erklärt er.
Beauty wird personalisiert
Das ist ein Aspekt, der auch in der Kosmetikindustrie immer relevanter wird. Denn auch hier arbeitet KI daran, Produkte mehr und mehr auf die Kund:innen zuzuschneiden. Firmen wie L’Oréal oder Mac Cosmetics integrieren etwa schon Gesichtsscans in ihre Onlineshops. Sie wählen die perfekte Lippenstiftfarbe oder die passende Foundation aus. Das hilft zum einen natürlich dabei, Rücksendungen zu minimieren; zum anderen macht es das Ausprobieren digital und deutlich bequemer für die Konsument:innen.
Doch die Personalisierung in der Kosmetikindustrie geht noch einen Schritt weiter, Stichwörter sind hier Skincare und Pflege. Wer sich das aktuelle Angebot ansieht, merkt: Die Zuschreibungen bei Cremes, Seren und Co beschränken sich meist auf Kategorien wie trockene, sensible oder ölige Haut. Mithilfe von KI und Befragungen kann man aber diese Bandbreite an Empfehlungen deutlich ausweiten. Skincare kann so in die unterschiedlichsten Bereiche und Bedürfnisse unterteilt werden.
Wie das aussehen kann, zeigt unter anderem die amerikanische Firma Proven. Wer hier ein dreiminütiges Skincare-Quiz macht, bekommt mithilfe von KI eine personalisierte Skincare-Routine, die auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten wird. Je nachdem, welche Bedürfnisse man angibt, werden nach und nach die Inhaltsstoffe aufgelistet, die laut KI helfen können. Ein wichtiger Aspekt, betont Proven-Mitbegründerin und CEO Ming Zhao: „KI ermöglicht es uns, den Menschen als Ganzes zu verstehen.“
Künstliche Intelligenz als Personalisierungs-Tool
Die Personalisierung der Produkte ermögliche es schließlich, die unterschiedlichsten Bedürfnisse miteinzubeziehen und transparent darzustellen, welches Bedürfnis welche Inhaltsstoffe erfordert.
Doch dafür waren vor allem jede Menge Daten notwendig, mit denen die künstliche Intelligenz arbeiten konnte. „Meine Co-Founderin Amy Yuan ist Computerphysikerin. Sie kombinierte Erkenntnisse aus Tausenden von akademischen Artikeln über Hautpflege mit Millionen von Kundenrezensionen zu Tausenden von Produkten, um einen riesigen Datensatz zu erstellen, der den Anfang des Skin Genome Projects von Proven darstellte. Daraufhin haben wir mit führenden Dermatolog:innen und Chemiker:innen zusammengearbeitet, um unsere personalisierten Hautpflegeprodukte zu entwickeln.“
Zhao ist überzeugt, dass KI durch die Aufnahme Abertausender Daten und die schnelle Erfassung von Ergebnissen Wege ermöglicht, wie personalisierte Hautpflege „für alle auf einem akzeptablen Preisniveau zugänglich“ wird. Für sie ist deshalb klar: KI kann die Kosmetikindustrie nachhaltig verändern. „Unsere Haut ist das größte Organ unseres Körpers. Wir würden niemals ein Einheitsmedikament verwenden, um unseren Körper von einer Krankheit zu heilen. Warum sollten wir das also bei unserer Haut tun?“, so Zhao. Zwar seien vielen Konsument:innen derzeit der Wert und das Potenzial von KI noch nicht bewusst, doch das verändere sich nach und nach. „Wir glauben, dass immer mehr Verbraucher:innen über Personalisierung lernen und diese von allen Marken, mit denen sie zu tun haben, einfordern werden“, betont Zhao.
Wie Maschinen die Branche menschlicher machen
Sowohl für die Mode- als auch die Beautyindustrie zeigt sich also gerade: Es tut sich viel, wenn
es um künstliche Intelligenz geht. Denn die Ansätze, wo und wie sie eingesetzt werden kann, reichen in nahezu alle Bereiche hinein; sei es in der Produktion, bei Trendprognosen, in der Lieferkette oder direkt im Kontakt mit den Kund:innen. Die Möglichkeiten scheinen derzeit schier endlos zu sein, auch wenn die einzelnen Ansätze noch Potenzial für Verbesserungen haben.
Wie genau KI die beiden Branchen in den nächsten fünf Jahren verändern wird, weiß deshalb auch keine/r der befragten Fachleute mit Sicherheit. Nur in einem scheinen sie sich alle einig zu sein. Der Ruf nach Personalisierung und Transparenz wird immer größer. Und ausgerechnet die Maschinen und KI-Systeme könnten der Schlüssel sein, um Onlineshopping deutlich persönlicher und menschlicher zu machen.