#MeToo: Warum jetzt unzählige Berichte zu Sexismus, Rassismus & Machtmissbrauch in der österreichischen Filmbranche auftauchen
2017 kam die #MeToo-Debatte erstmals ins Rollen. Seit Sonntag nimmt der Hashtag #MeToo in Österreich allerdings wieder an Fahrt auf. Wieso? Die Regisseurin, Drehbuchautorin und Dozentin Katharina Mückstein teilte in ihrer Insta-Story persönliche Geschichten von sexuellen Übergriffen in der österreichischen Filmbranche. Daraufhin meldeten sich hunderte Personen aus der Branche und erzählten von ihren eigenen bedrückenden Erfahrungen.
Sie alle fordern nicht nur mehr Awareness für das Thema, sondern vor allem auch Aktionen und Konsequenzen.
#MeToo: Zahllose Berichte zu Sexismus, Rassismus und Machtmissbrauch in österreichischer Kulturszene
„Heute Abend wird ein Täter auf der Bühne stehen und bejubelt werden. Und es gibt nichts, was wir dem entgegensetzen können“, so beginnt Katharina Mücksteins Instagram-Story. Was in den Slides danach noch folgen soll, ist bedrückend. Seit Sonntag postet die österreichische Regisseurin nämlich persönliche Berichte von ihr und Betroffenen aus der österreichischen Film- und Theaterbranche. Sie alle wurden Opfer von Sexismus, Rassismus und Machtmissbrauch. Katharinas Ziel ist allerdings nicht, die einzelnen Täter und Betroffenen zu offenbaren. Sie möchte viel mehr darauf aufmerksam machen, dass diese Übergriffe ein systemisches Problem sind. Denn diese geschehen, wie die unzähligen Erfahrungen beweisen, auch an Orten, die sich öffentlich finanzieren und sich nach außen hin gern als feministisch darstellen.
Am Anfang wollte Katharina eigentlich nur über ihre eigenen Erfahrungen berichten, die sie in dem Business erleben musste. Und das schon als 19-Jährige bei ihrem allerersten Job in der Filmbranche:
Sie bekommt viel Zuspruch für ihren Mut, ihre Erfahrungen so offen mit ihren Followern zu teilen. Was die Regisseurin dann allerdings überraschte: Sie bekommt hunderte Nachrichten mit persönlichen Berichten von anderen Menschen aus der Film- und Theaterbranche. Einige Berichte davon teilt sie anonym in ihrer Instagram-Story und erstellt ein Highlight mit den Erzählungen auf ihrem Account. Nur ein Bruchteil, der Geschichten, die ihr zugesendet wurden. Im Gespräch mit dem Standard erzählt sie, dass sie viele erst gar nicht gepostet habe, weil die viel zu explizit und heftig gewesen seien. Sie habe es für nicht angebracht gehalten, die Betroffenen zu fragen, ob sie diese veröffentlichen dürfe.
#MeToo-Schauplatz: Theater, Film & Ausbildungsstätten
Auf der Bühne, bei Proben oder auf der Schauspielschule – es passiert überall. Das zeigen die unzähligen anonymen Erfahrungen, die Mückstein aktuell auf Instagram teilt. Diese Frau etwa erinnert sich an ihre Bühnenreifeprüfung, in der ihr ein männliches Kommissionsmitglied drohte, er würde sie ohrfeigen, wenn sie die klassische Frauenrolle zu temperamentvoll spiele. „Physische Gewalt anzudrohen, weil dir eine Charakterinterpretation nicht gefällt… Hat mich zutiefst erschüttert“, so die Betroffene. Das sollte nicht ihre einzige Erfahrung sein. Denn auch bei ihrer Aufnahmeprüfung sagte man ihr, sie müsse um die 20 Kilogramm abnehmen, obwohl sie nicht übergewichtig war.
Eine andere Frau schildert ihre Erfahrungen nach einer Premierenfeier am Theater. Der Intendant folgte ihr bis auf die Toilette, um sie abzupassen: „Ich beobachte dich schon den ganzen Abend, du hast so einen geilen Arsch. Ich leite hier das Haus und würde dir gerne mein Büro zeigen.“
Es geht noch weiter. Diese Frau etwa wurde von ihrem Kollegen belästigt, der ihr nach einer Filmkuss-Szene erklärte, dass der Kuss echt gewesen sei. „Als ich das verneinte, wurde er wütend und erklärte mir, dass ich so sehr mit mir selbst beschäftigt sei, dass ich meinen Traummann nicht mal sehen würde, wenn er direkt vor mir steht“, schreibt sie weiter. Noch „ein anderer Kollege fragte, ob ich mit auf sein Hotelzimmer komme, um Text zu lernen. Ich habe sofort losgelacht und gesagt ’natürlich nicht‘. Er meinte, warum ich so spießig wäre und ihm sofort etwas unterstellen würde.“ Daraufhin habe sie sich geschämt und sei dann mit auf das Zimmer gegangen. Dort setzte sie sich auf einen Sessel in die Ecke. Er fragte, warum ich so schüchtern sei. Er würde mir gerne den Nacken massieren und mich lecken“, so die Schauspielerin.
Das sind nur wenige erschreckende Erfahrungen von vielen, die Mückstein teilt. Aber die malen ein eindeutiges Bild von den verbalen und sexuellen Übergriffen in der heimischen Film- und Theaterlandschaft.
„Wenn wir schweigen, bröckelt unsere Selbstachtung“
Die Berichte sind eindeutig – um Einzelfälle geht es hier lange nicht mehr. Die Drehbuchautorin fordert deshalb eine unabhängige Ombudsstelle. Zwar gebe es einige kleine Netzwerke und Vereine als Anlaufstelle für Betroffene, aber es fehle an Ressourcen, um wirklich ausreichend Hilfe anzubieten. „Wenn wir schweigen, bröckelt unsere Selbstachtung. Auf lange Sicht ist das viel schlimmer, als wenn sich Fronten auftun“, hält Mückstein in ihrer Insta-Story nachdrücklich fest.
Auch Sophie Rendl, Vertreterin des Vereins Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst und Kultur, betont auf Anfrage des Standards: „Die Aufmerksamkeit muss weg von einer individuellen Verantwortung der Betroffenen hin zu einer kollektiven Verantwortung.“ Außerdem dürfe es laut Katharina Mückstein vonseiten der Arbeitgeber und Fördergeber einfach keine Toleranz mehr für solch ein Verhalten geben, das strukturell sogar gedeckt werde.