Es ist also entschieden: Johnny Depp hat den Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard gewonnen. Für jene, die den Prozess in den Sozialen Medien verfolgt haben, dürfte das wohl kaum überraschend sein.

Dennoch hat sein Sieg einen bitteren Nachgeschmack.

Sind wir vor Gericht oder bei einem Sportevent?

Gleich vorweg: Nein, wir sind weder „Team“ Johnny, noch „Team“ Amber. Der Gedanke, dass man bei so sensiblen Themen wie häuslicher Gewalt und toxischen Beziehungen wie bei Sportevents ein „Team“ wählt, verwundert uns nämlich bis heute. Denn eigentlich weiß doch keiner von uns mit Sicherheit, was wirklich zwischen den beiden passiert ist. Es gibt Beweise auf beiden Seiten; Zeugen und Experten, die von gegenseitigem Missbrauch sprechen und den Anschein, dass es sich um eine durch und durch toxische Beziehung handelte.

Gleichzeitig steht aber eben diese „Team-Wahl“ exemplarisch für die Problematik, die durch den Prozess entstanden ist. Denn wenn wir uns ganz ehrlich sind, geht es weniger um die Thematik der häuslichen Gewalt, sondern um das Image von zwei Hollywood-Stars, die sich in den vergangenen Jahren einen öffentlichen Streit geliefert haben.

Johnny Depp als Sympathieträger online

Kein Wunder also, dass zahlreiche Medien schon vor dem Urteilsspruch am 1. Juni darüber schrieben, dass Depp den Prozess ja eigentlich schon gewonnen hat. Denn die vergangenen Wochen waren geprägt von öffentlichen Unterstützungskampagnen für den „Fluch der Karibik“-Schauspieler. Fans auf Twitter, TikTok und Co versammelten sich hinter ihm und glaubten jedes Wort, dass er und sein Team vor Gericht aussagten. Hashtags wie #JusticeForJohnnyDepp oder #AmberIsALiar gingen immer wieder viral.

Doch damit nicht genug: Für die extremen Depp-„Fans“ reichte es nicht, seine Aussagen hervorzuheben. Jedes Wort von Amber und ihrem Team wurde auf die Waagschale gelegt, ihre Aussagen wurden zum Gespött. Online beschuldigte man sie, ihre Verletzungen gefälscht zu haben. Clips, die sie in Tränen aufgelöst zeigen, wurden zum grausamen TikTok-Trend. Man warf ihr (schlechte) Schauspielerei vor und kümmerte sich hinter den Kulissen in Form einer Petition darum, dass sie Schwierigkeiten mit Filmprojekten haben könnte.

Mit „Starpower“ zum Gerichtsurteil

Während Depp vor dem Gerichtssaal mit Jubelschreien, Plakaten und Geschenken empfangen wurde, gab es für Heard im besten Falle Stille. Auch Experten sprechen rückblickend davon, dass Amber Heards Image Schuld an Johnny Depps Sieg sein könnte.

„Depp war der viel sympathischere und glaubwürdigere Zeuge. Die Geschworenen liebten ihn, die Öffentlichkeit liebte ihn, jeder in den sozialen Medien liebte ihn. Und jetzt ist Amber Heard eine der meist verachteten Frauen in Amerika. Anstatt das Gesicht der #MeToo-Bewegung zu sein, ist sie das Gesicht einer falschen Anschuldigung“, schildert etwa der Anwalt Neama Rahamani gegenüber „Insider“.

Auch der amerikanische Anwalt David Ring betont, dass es Heard an Glaubwürdigkeit – aber auch an Sympathie -fehlte. „Ich denke, Johnny Depp ist offensichtlich der größere Star, und das sage ich nicht im Scherz“, erklärt er. „Starpower“ sei „in einem Gerichtssaal unglaublich wichtig“, ist er sich sicher. „Ich denke, dass solche Stars in den allermeisten Fällen gewinnen, und Johnny Depp ist offensichtlich ein charismatischer Typ. Die Geschworenen haben über all seine Fehler hinweggesehen, über sein wirklich schreckliches Verhalten. Sie haben das alles beiseite gelassen und gesagt, dass sie ihn verleumdet hat und ihm eine Menge Geld zugesprochen.“ Das Fazit des Anwaltes: „Johnny Depp hat in der öffentlichen Meinung gewonnen, er hat im Gerichtssaal gewonnen, und er wird damit auch in Zukunft gewinnen.“

Für Amber gab es hingegen kaum eine Chance, betonen Experten. „Die Jury befand, dass sie entweder nicht authentisch ist, zu sehr schauspielert oder keine Empathie verdient“, erklärt die Anwältin für Unterhaltungsrecht Mitra Ahouraian gegenüber der „New York Post“.

Warum der Johnny Depp Prozess die #MeToo Bewegung zurückwirft

Ging es also wirklich nur um das Image und die Frage, ob man mit Heard mitfühlte? Wenn ja, würde das die Bewegungen und Bemühungen rund um #MeToo um einiges zurückwerfen. Denn eben darum sollte es doch gehen. Dass eben nicht automatisch dem größeren Star rechtgegeben wird, sondern auch jede und jeder das Recht hat, gehört zu werden. Wenn man sich den Prozess mit diesem Motto im Hinterkopf ansieht, wird deutlich, dass zumindest auf TikTok und Co dieser Vorsatz nicht umgesetzt wurde.

Denn schon am ersten Prozesstag schien online festzustehen: Die Solidarität ist bei Johnny Depp. Und nein, das heißt nicht, dass wir automatisch Amber glauben! Wie schon zu Beginn gesagt, haben wir auch nach dem wochenlangen Prozess einfach keinen eindeutigen Einblick in die Beziehung bekommen. Wer weiß, vielleicht sagt Depp ja die Wahrheit (und wäre damit genau genommen eine Erfolgsgeschichte für die #MeToo-Bewegung) – vielleicht aber auch nicht! Wir sind keine Richter – auch wenn einige in den Sozialen Medien das wohl nicht wahrhaben wollen.

Fatale Konsequenzen für Opfer und Überlebende

Das Urteil wird auf jeden Fall deutlich mehr beeinflussen, als das Image von Amber Heard und Johnny Depp, befürchten viele Experten und Aktivistinnen. Maureen Curtis, Vizepräsidentin für Strafrechtsprogramme bei der Opferhilfsorganisation Safe Horizon, sagt gegenüber dem „Rolling Stone“ etwa, dass das Urteil „eine weitere Möglichkeit“ sei, „Überlebende zum Schweigen zu bringen“ – mit fatalen Konsequenzen. „Überlebende, die dies sehen, werden alles überdenken, was sie laut über das sagen, was ihnen passiert ist, und die Möglichkeit, verklagt und durch einen Gerichtsprozess geschleift zu werden, weil sie etwas gesagt haben, von dem sie wissen, dass es wahr ist, aber sie könnten der Verleumdung für schuldig befunden werden“, sagt sie. „Das ist eine beängstigende Situation.“

Für Opfer von häuslicher Gewalt ist das Ende dieses Prozesses wohl ein Schlag ins Gesicht und nur eine weitere Bestätigung der Befürchtung vieler, dass einem auch mit zahlreichen Beweisen vor Gericht oft nicht geglaubt wird. „Dieser Fall ist meine schlimmste Befürchtung, die sich auf einer öffentlichen Bühne abspielt“, erklärt etwa ein Opfer von häuslicher Gewalt gegenüber dem „Rolling Stone“. „Er zeigt mir, dass [mein Ex] recht hatte. Wenn er wollte, könnte er mich unwiederbringlich zerstören und demütigen.“

Warum wollte niemand Amber Heard glauben?

Es ist eine Angst, die uns auch die Rechtsanwältin Carmen Thornton im vergangenen Jahr im Interview schilderte. Eine Angst, die viele Frauen haben, wenn sie in toxischen Beziehungen leben und auch deshalb lange zögern, bevor sie rechtliche Schritte einleiten. Eben deshalb brauche es ein Vertrauensnetz; Freunde, Familie oder Ärzte sollten informiert werden – auch, um später einmal Zeugen zu haben. Wer seinen Fall nämlich vor Gericht bringen will, sollte so viele Situationen wie möglich dokumentieren; seien es Verletzungen, ein Streit oder andere Vorfälle. Diese könne man etwa den Vertrauenspersonen schicken, schilderte Thornton im Interview mit miss. „Damit man dann, wenn die Frau die Kraft hat, zu gehen, auch vor Gericht zeigen kann: Das war schon lange ein Problem.“

Schritte, die auch Amber Heard in ihren Aussagen schilderte. Ihre Schwester war sogar als Zeugin vorgeladen! Einige Beweise (Fotos und Sprachmemos) bewahrte sie auch selbst auf. Dass diese dann jedoch an die Öffentlichkeit gelangt sind – und lange Zeit spekuliert wurde, dass Ambers Team Fotos, Videos und Aufzeichnungen an die Presse geleakt hat – half ihrer Glaubwürdigkeit vor Gericht jedoch ganz und gar nicht.

Ein Sieg mit Schattenseiten

Bis jetzt ist nicht sicher, ob Heard tatsächlich gelogen hat oder nach all den Jahren einfach Fakten durcheinander gebracht hat. Wir wissen nicht, wer wirklich Schuld an Johnny Depps abgetrennter Fingerkuppe hat und können auch nicht eindeutig sagen, ob es in der Beziehung der beiden ein Opfer der häuslichen Gewalt gab, wer das war und wer wann wen tatsächlich geschlagen hat. Fest steht, dass Amber Heard zugegeben hat, Johnny Depp geschlagen zu haben – jedoch aus Selbstverteidigung! Wie genau die Beziehung der beiden ausgesehen hat, wissen wohl wirklich nur die beiden.

Es sind Unsicherheiten, die online kaum beachtet werden, im Urteil jedoch eindeutig werden. Denn wer genau hinsieht, erkennt: eigentlich wurden beide schuldig gesprochen. Nicht nur Amber Heard wurde wegen Verleumdung verurteilt; auch Johnny Depp muss eine Strafzahlung leisten – jedoch eine deutlich geringere. Es ging in dem Prozess um Verleumdung – nicht aktiv um den Vorwurf der häuslichen Gewalt.

Was viele dabei vergessen: Die häusliche Gewalt war sehr wohl ein Teil des vorherigen Prozesses zwischen Depp und der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ im Jahr 2020. Und damals entschied das britische Gericht, dass Depp seine damalige Frau bei mindestens zwölf unterschiedlichen Gelegenheiten misshandelt habe. Ein Fakt, der unter dem Hashtag #JusticeForJohnnyDepp nur allzu gerne unter den Tisch gekehrt wird.


Wenn ihr von Gewalt betroffen seid oder euch zum Thema informieren wollt, beziehungsweise über eure Situation sprechen wollt, gibt es viele Anlaufstellen, bei denen ihr Hilfe bekommt:

  • Frauennotruf (Österreich): 01 71719
  • Frauenhelpline (Österreich): 0800 222 555
  • Männernotruf (Österreich): 0800 246 247
  • Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen (Deutschland): 08000 116 016
  • Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (Deutschland): 0621 16853705
  • Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (Deutschland): 0800 22 55 530
  • Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft (Schweiz): 44 278 99 99
  • Frauenberatung sexuelle Gewalt (Schweiz): 044 291 46 46
  • Opferhilfe (Schweiz): Hier gehts zur Webseite
  • Euronotruf: 112