„Sie lügen euch hier an“: Redakteurin unterbricht russische Nachrichtensendung
Die Aktion der russischen Redakteurin Marina Ovsyannikova ist wohl kaum an Mut zu übertreffen. Denn während ihre Kollegin live die Nachrichtensendung moderiert, stürmt sie das Set mit einem Protestplakat und fordert im kontrollierten Staatsfernsehen ein Ende des Krieges.
Für die Aktion bekommt die Frau viel Zuspruch.
Demonstrantin unterbricht staatlich kontrollierte Nachrichtensendung
Es ist ein Auftritt, der uns wohl noch länger in Erinnerung bleiben wird. Als in dem russischen Fernsehsender „Channel 1“ gerade eine Nachrichtensendung moderiert wird, stürmt eine Frau mit einem Plakat auf das Fernsehset. „Kein Krieg, stoppt den Krieg, glaubt der Propaganda nicht, sie lügen euch hier an“, steht auf dem Schild. Während die Nachrichtensprecherin versucht, die Demonstrantin mit einer immer lauter werdenden Stimme zu übertönen und weiter die Nachrichten vorliest, sagt die Frau wiederholt „Nein zum Krieg! Stoppt den Krieg!“.
Ein Protest, der für die russischen Nachrichten nicht nur eine Einzelheit, sondern auch ein absoluter Skandal ist. Denn der Kreml kontrolliert das Mediensystem streng. Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine dürfen Redakteure den Angriff etwa nicht als „Krieg“ bezeichnen, sondern ausschließlich als „spezielle Militäroperation“. Die Nachrichtensendungen sind geprägt von Propaganda und schildern ausschließlich eine Sichtweise, die von dem Präsidenten Wladimir Putin gefördert wird.
Dass es bei einem staatlich kontrolliertem Sender also zu einem Live-Protest kommt, widersetzt sich jeder Regelung des Staatsfernsehens. Die Frau hinter dem Protest ist Marina Ovsyannikova. Sie ist selbst Redakteurin bei dem Fernsehsender und scheint die Möglichkeit genutzt zu haben, um die russische Bevölkerung zumindest wenige Sekunden lang aufzuklären.
„Wir haben diesem menschenfeindlichen Regime einfach schweigend zugesehen.“
Denn ihr Protest wird von dem Programmdirektor unterbrochen, der auf einen aufgezeichneten Nachrichtenbeitrag umschaltet. Eine Reaktion, die Ovsyannikova wohl erwartet hatte. Bereits vor dem Liveauftritt zeichnete sie deshalb ein Video auf, in dem sie ihre Beweggründe erklärte. „Ich schäme mich, dass ich mir erlaubt habe, vom Fernsehbildschirm aus Lügen zu erzählen. Ich schäme mich, dass ich zugelassen habe, dass die Russen zu Zombies gemacht werden“, sagt sie in dem Video.
Rückblickend bereue sie ihre Beteiligung am Mediensystem, insbesondere mit Blick auf das Jahr 2014 und dem damaligen Angriff Russlands. „Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles erst begann“, erklärt Ovsyannikova. Denn damals habe niemand aktiv gehandelt. „Wir sind nicht auf die Straße gegangen, um zu protestieren, als der Kreml [Alexej] Nawalny vergiftete“, betont sie. „Wir haben diesem menschenfeindlichen Regime einfach schweigend zugesehen. Und jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewandt, und die nächsten zehn Generationen werden sich nicht von der Schande dieses Bruderkriegs reinigen können.“
Redakteurin ruft zu Protest der Bevölkerung auf
Sie selbst habe einen ukrainischen Vater und eine russische Mutter, erzählt sie. Die aktuellen Taten in der Ukraine verurteilt sie aufs Schärfste. „Was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen, und Russland ist der Aggressor. Die Verantwortung für diese Aggression liegt auf dem Gewissen eines einzigen Mannes, und dieser Mann ist Wladimir Putin“, sagt sie.
Doch es gäbe auch eine Lösung – und zwar der Protest der russischen Bevölkerung, zu dem die Redakteurin aufruft. „Nur wir haben die Macht, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Gehen Sie zu den Protesten. Habt keine Angst vor irgendetwas. Sie können uns nicht alle inhaftieren“, fordert sie.
Ein Aufruf, für den die Frau jetzt viel Zuspruch bekommt. International wird ihre Aktion gefeiert; sogar der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij bedankt sich in einer Videoansprache bei der Redakteurin. „Ich bin den Russen dankbar, die nicht aufhören, die Wahrheit zu verbreiten. Denen, die gegen Desinformation kämpfen und ihren Freunden und Angehörigen die Wahrheit, die wahren Fakten, erzählen“, sagt Zelenskiy. „Und persönlich an die Frau, die das Studio von Channel One mit einem Plakat gegen den Krieg betreten hat.“
Nachrichtensendung-Protest mit rechtlichen Folgen
Doch für die Frau persönlich könnte die Aktion extreme Konsequenzen haben. Mehrere Medien berichten nämlich, dass sie sofort festgenommen wurde und derzeit in Polizeigewahrsam ist. Es wird vermutet, dass ihre Aktion rechtliche Konsequenzen haben wird. Denn mit dem Protest verstößt sie gegen das neue Gesetz gegen die Verunglimpfung der Streitkräfte.
Ein Gesetz, das am 4. März verabschiedet wurde und jene Menschen bestrafen soll, die öffentlich die russische Armee kritisieren. Wer verurteilt wird, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren rechnen.