„Über meinen Körper bestimme ich alleine und sonst niemand“
1. Was bedeutet es für dich, ein Kopftuch zu tragen?
Nach längerer Überlegung bin ich damals in meiner Jugend zum Entschluss gekommen, das Kopftuch zu tragen. Meiner Mutter war es egal, wozu ich mich entscheide, ihre Unterstützung hatte und habe ich immer. Ihr war es nur wichtig, dass ich auch zu 100% hinter dieser Entscheidung stehe. Mein Vater dagegen war sehr skeptisch und anfangs auch dagegen, weil er wusste, was das Kopftuch für negative Reaktionen in meinem Umfeld auslösen könnte. Seine Fürsorge, was dieses Thema anbelangt, spüre ich noch heute, da ihn die letzten Ereignisse rund um die Kopftuchdebatte sehr beunruhigen.
Für mich ist das Kopftuch neben der individuellen Auslebung der Glaubenspraxis und eine Annäherung an Gott mittlerweile auch Teil meiner Identität. Das Kopftuch gehört also zu mir, aber ich definiere mich nicht ausschließlich nur über das Kopftuch. Meine Persönlichkeit und mein Charakter sind weitaus mehr, es ist falsch, sich nur auf ein Stück Stoff reduzieren zu lassen.
2. Hast du das Gefühl, dass dir Menschen anders begegnen, weil du ein Kopftuch trägst?
Das Spektrum an Reaktionen reicht von Feindseligkeit und Unverständnis bis hin zu Neugier und ehrlichem Interesse. Am angenehmsten finde ich immer noch, wenn keine Reaktion kommt. Das zeigt mir, dass mein Gegenüber meine Entscheidung zu meinem Aussehen akzeptiert, respektiert und mich wie jeden anderen Menschen auch, wahrnimmt. Ich denke, dass niemand nur allein von seinem Aussehen her beurteilt werden möchte. Im Endeffekt zählt ja was ich im Kopf habe und nicht auf meinem Kopf trage. Mein Alltag läuft ganz normal ab, natürlich hast du ab und zu einige Kleingeister, die dich blöd angehen, aber mit solchen Situationen komme ich immer klar. Die meisten reagieren eben aus Angst, Unkenntnis oder beidem. Da versuche ich natürlich so gut es geht auf diese Menschen einzugehen, bei manchen funktioniert´s, bei manchen ist das „Kastl-Denken“ leider zu weit fortgeschritten. Die einzige Form an konstanter Diskriminierung erlebe ich eigentlich auf politischer Ebene. Hier wird letzten Endes Politik auf meinem Kopf und Körper betrieben. Ich bin der Meinung, dass es bei diesem Thema schon längst nicht mehr um Frauenrechte geht. Bei der Kopftuchdebatte werden viele Themen wie Asyl, Migration, Integration, Flüchtlinge, etc vermischt. Am Ende begeben wir uns damit nur auf rassistischem Terrain. Bei diesem Thema rede ich gerne über die Rechte aller Frauen, nicht nur um uns Musliminnen, die ihren Kopf verhüllen. Denn Frauenrechte betreffen uns alle und die Debatte, wie Frau sich zu kleiden hat führen wir ja schon seit Jahrhunderten. Der Zwang, mehr zu tragen oder der Zwang, sich auszuziehen. Zwang bleibt Zwang.
3. Welche Gefühle löst die aktuelle Kopftuch-Debatte bei dir aus?
Mit chauvinistischen Bekleidungsvorschriften emanzipiert man auch keine Frau, man schließt sie damit aus der Gesellschaft aus und drängt sie in die Isolation. Dieser konstante Befreiungszwang von den Politikern und vermeintlichen Aktivisten ist alles andere als feministisch und emanzipierend. Mit solchen Aktionen nimmst du einer Frau ihr Selbstbestimmungsrecht weg. Wieviel und was genau eine Frau von sich zeigen möchte, bleibt immer noch ihr überlassen. Und das haben wir auch gefälligst zu respektieren. Alles andere ist mit dem feministischen Grundgedanken auch überhaupt nicht vereinbar. Das Kopftuch-Rock-Beispiel ist ziemlich 08/15, soll aber zeigen, dass eine Frau jetzt nicht minderwertiger ist als die andere. Wenn eine Frau einen sexy Bleistiftrock anziehen möchte, dann bitte, you slay girl! Wenn eine Frau ein Kopftuch tragen möchte, dito, you slay girl! Wer wie aussehen und seine Persönlichkeit Ausdruck verleihen möchte, egal ob Frau oder Mann, muss und soll jeder für sich selber entscheiden. Da hat die Politik sich nicht einzumischen.
4. Was würde es für dich bedeuten, dein Kopftuch ablegen zu müssen?
Ich finde es ehrlich sehr traurig und auch beschämend für österreich-europäische Verhältnisse, dass wir die Zugehörigkeit und Integration eines Menschen an einem Stück Stoff messen. Für mich käme es auch deswegen nicht infrage, das Kopftuch abzulegen. Es ist für mich kein religiöses Symbol, geschweige denn ein Symbol der fundamentalistischen Propaganda. Mit solchen Aussagen wird mir nämlich meine Mündigkeit weggenommen. Das Kopftuch ist für mich ein Zeichen meiner individuellen Entfaltung. So will ich einen Teil meiner Persönlichkeit zum Ausdruck bringen. Und das soll mir oder jemandem anderen weggenommen werden? Über meinen Körper bestimme immer noch ich alleine und sonst niemand. Denn wer Religionsfreiheit gesetzlich festlegt, muss auch dafür sorgen, dass diese ausgelebt werden. Unabhängig davon, ob man an einen oder keinen Gott glaubt.
Nour Khelifi, Journalistin, 23