Die große Freiheit
„Du bist so hübsch, warum hast du eigentlich keinen Freund?“ Ist man single, bekommt man ja öfter ziemlich dumme Fragen gestellt – diese hier ist aber die Nummer eins unter diesen, da ein Klischee bedient wird, das nicht nur blöd, sondern auch unlogisch ist: Nur schöne Menschen sind also in Beziehungen? Bullshit! Dass ein hübsches Gesicht nicht automatisch zum Traummann führt, ist ebenso klar wie die Tatsache, dass eine glückliche Beziehung niemals auf Äußerlichkeiten basieren kann. Die Antwort ist manchmal ganz einfach: Dass man nicht immer in einer Beziehung sein will, liegt vielleicht daran, dass man in genau diesem Lebensabschnitt gerne auf sich selbst gestellt sein will; das kann durchaus eine bewusste Entscheidung sein. Man braucht eben nicht immer jemanden, um glücklich sein, und fühlt sich vielleicht gerade wohler mit sich selbst. Das bestätigt auch Paar- und Single-Coach Susanne Fabiankovits, die sogar dazu rät, Zeit mit sich selbst zu verbringen: „Sich selbst besser kennenzulernen und seine Muster zu durchbrechen ist ein persönlicher Entwicklungsprozess, der uns weiterbringt – egal ob als Single oder in einer Beziehung!“
Das Alleinsein lernen
Wem dieses „Sich selbst besser kennenlernen“ zu esoterisch klingt, dem sei gesagt: Das bedeutet überhaupt nicht, dass man jeden Tag nachdenklich im Bett liegt und über sein Dasein grübeln soll, im Gegenteil: Hier geht es um reine Me-Time – und das ist Zeit für sich, in der man happy ist, weil man Dinge macht, die einem gut tun – nur eben alleine: Im Café sitzen und einfach nur Leute beobachten, spontan an einem Regentag mit sich selbst ins Kino gehen oder am Wochenende zum Solo-Wellnessen düsen, um sich etwas zu gönnen. Alleinsein ist doof? Das sagen meist die, die es noch nie probiert haben, also nur zu! Denn wer mit sich alleine sein kann und dabei glücklich ist, lernt sich langfristig immer besser kennen – und weiß dann genauer, was er braucht, um sich wieder auf eine Beziehung einzulassen. Und das ist ein Deal, mit dem man auch als eingefleischter Single leben kann.
Jedes Lebensmodell zulassen
Apropos: Es gibt ja Menschen, die gehen von einer Beziehung in die nächste und scheinen niemals alleine zu sein. Und dann gibt es welche, die brauchen Zeit für sich, um die vergangene Beziehung zu verarbeiten, um sich neu zu sammeln, um Wunden verheilen zu lassen und sich bereit für etwas Neues zu machen. Welche Variante die richtige ist? Keine. Hier gibt es kein richtig oder falsch, hier hat jeder seinen eigenen Rhythmus. Warum also über Frauen urteilen, die ständig in Beziehungen zu sein scheinen – oder andere angreifen, weil es wirkt, als wären sie immer nur single? Die Gründe dafür sind oft vielschichtiger, als man meint, das bestätigt auch Susanne Fabiankovits: „Viele haben Angst vor Veränderung, wenngleich der Wunsch danach sehr intensiv sein kann. Oft fehlt es an Selbstvertrauen und dem Mut, neue Schritte zu gehen, oder sie sind sich ihrer Ressourcen zu einer erfolgreichen Veränderung nicht bewusst. Sie blockieren sich mit Gedanken wie: ‚Ich habe Angst vor dem Alleinsein‘ oder ‚Es kommt eh nichts Besseres nach‘.“
Anspruchsvoll sein
Apropos „nichts Besseres“: Ein Vorwurf, der oft um die Ecke kommt, ist: „Dir ist niemand gut genug. Du musst deine Ansprüche senken!“ Aber muss man das wirklich? Warum sind hohe Ansprüche etwas Schlechtes? Vielleicht gibt es im echten Leben keinen McDreamy, aber vielleicht stolpert man in der Wartezeit ja über einen anderen Traumprinzen? Wer single ist, weil er lieber auf ein Sicherheitsnetz vertraut und jeden Mann doppelt und dreifach prüft, macht nichts falsch – gerade in einer Zeit, in der „Freundschaft plus“ eine ganze Generation zu prägen scheint. „In meiner Arbeit mit Menschen kann ich zunehmend erkennen, dass immer mehr Menschen an Bindungsangst leiden. Bei einem One-Night-Stand bleibt es bei einer Unverbindlichkeit, die eine vermeintliche ‚Sicherheit‘ mit sich bringt, da sich keiner von beiden auf den anderen einlassen muss.“ Deshalb ist die Devise, besser zu hohe Ansprüche zu haben als zu niedrige, gar nicht schlecht. Klar, Daten kann unserem Selbstwertgefühl zwar gut tun, aber mit einem falsch verpackten Mr. Perfect wird man auch nicht glücklicher, zumal bei einem solchen Techtelmechtel oftmals eher „Freundschaft plus“ als „die große Liebe“ draufsteht.
Keinen Druck erlauben
Was man aber auch sagen muss: Beziehungen sind kein „Must-have“. Und auch, wenn man in manchen Situationen das Gefühl hat, dass man wie eine Aussätzige behandelt wird: Man wird nicht ausgestoßen, nur weil man keinen Partner hat. Klar, unschöne Fragen à la „Wann gibt’s denn endlich wieder jemanden?“ können nerven, und es kann ganz schön hart sein, wenn vielleicht die kleine Schwester schon verlobt ist, während man selbst alleine ist. „Jetzt wird’s aber bald Zeit, dass du zu suchen beginnst, sonst findest du nie wen!“ – so klingen oft die freundlichsten Aussagen der Familie, die einen richtig treffen können. Hier muss man sich aber klarmachen: Gerade die Familie meint es meist nur gut – und vieles bekommt man in den falschen Hals. Aber man muss sich auch die Freiheit nehmen und sagen: So bin ich, so lebe ich – so what? Vielleicht ist es manchmal schwierig, einen Kompromiss zu finden zwischen dem, was sich die Gesellschaft als anerkanntes Leben vorstellt und den eigenen Vorstellungen von einem glücklichen Leben – aber man darf niemandem die Macht geben, einen unter Druck zu setzen.
Ängste zulassen
Ein Problem ist in solchen Momenten auch, dass man müde geworden ist, seine Haltung zu verteidigen – eben weil man es schon so oft getan hat. Aber warum nicht ganz ehrlich sagen: Ich bin noch nicht so weit? Oder: Ich habe Angst? Dass man alleine ist, hat laut Susanne Fabiankovits nämlich oft genau damit zu tun: „Meist verbirgt sich dahinter die starke Angst, verletzt zu werden. Einem Einlassen auf eine Beziehung mit all ihren Sonnen- und Schattenseiten wird ‚unbewusst‘ entgegengesteuert. Menschen mit Bindungsambivalenz sehnen sich zwar nach Nähe, wollen aber dennoch auf Distanz bleiben.“ Und das ist auch gut so. Denn wenn man schon von außen oft mit dem Druck anderer konfrontiert ist, sich endlich zu binden, darf man den Druck von innen, also von sich selbst, erst gar nicht zulassen. Wenn das gelingt, ist der Weg in die nächste Beziehung nicht nur leichter, sondern entspannter und erfolgreicher. Vielleicht benötigt es Mut, aber: „Sein Glück in die Hand zu nehmen braucht Kraft, lohnt sich in jedem Fall!“
An Begegnungen wachsen
Und wenn es dann doch länger dauert, macht das auch nichts, denn das Wort „Beziehung“ trägt zu Unrecht den Stempel, dass es sich dabei um ein klassisches Paar handelt. In Wahrheit führt man zu vielen unterschiedlichen Menschen zwischenmenschliche Beziehungen. Dass man sich als Single manchmal jemanden an seiner Seite wünscht, ist klar, aber warum können das nicht Freundinnen, Kumpels, Kollegen oder die Familie sein? Jede Begegnung und jede Beziehung kann einen bereichern und vor allem auffangen – und das sogar, wenn es mal schlechter läuft. Paar- und Single-Coach Fabiankovits erklärt: „Singles erleben meiner Meinung nach genauso negative Emotionen – allerdings hat das Gegenüber nicht die Partner-Kappe auf, sondern die Chef-Kappe, die Kollegen-Kappe, die Nachbars-Kappe und so weiter. Wann immer wir mit Menschen in Beziehung stehen, können wir verletzt werden. Die gute Nachricht: Genau das lässt uns reifen und wachsen!“
Das Miteinander mit Menschen ist es also, das wir brauchen, nicht unbedingt das Miteinander mit dem einen, einzigen Partner: „Sozial und emotional wachsen wir in jeder Begegnung mit einem anderen Menschen – ob wir nun single sind oder in einer Partnerschaft. Kurzum: Wann immer ich über einen Menschen frustriert oder verärgert bin oder ihn sogar bewundere, wird mir gezeigt, welche Wesenszüge in mir ich noch nicht lebe bzw. verdrängt habe.“ Das bedeutet also, dass Konflikte sogar etwas Positives bewirken können, wenn man daraus lernt; und was man daraus lernt, kann man dann für die nächste Beziehung nutzen. „Wir werden in Beziehung geboren, in Beziehung verletzt und – das ist wohl der wesentlichste Part – in Beziehung auch wieder heil!“
Herausforderungen annehmen
Dass dieses Heilwerden gerade als Single manchmal mit Wut, Ärger oder Tränen verbunden ist, wenn man meint, es nicht alleine zu schaffen, ist absolut normal – ebenso wie die Erkenntnis, dass es auch gut sein kann, sich Problemen zu stellen und eine Herausforderung darin zu sehen – alleine. Wichtig ist, Herausforderungen nicht als Steine auf dem Weg zu betrachten, sondern zu versuchen, daran zu wachsen. Einen Akkuschrauber ausleihen und das Billy-Regal alleine zusammenbauen? Check! Du bist stärker, als du aussiehst, das haben wir schon von Winnie Puuh gelernt! Sich ins Leben zu stürzen, neugierig und aufgeschlossen, obwohl man allein ist; keine Angst zu haben vor Veränderungen und neuen Aufgaben: Das ist es, was dich stärker werden lässt – egal ob als Single oder in einer Beziehung!