Wie uns die Corona-Krise zeigt, dass Frauen noch immer benachteiligt sind
Die Corona-Krise hat unser alltägliches Leben innerhalb kürzester Zeit drastisch verändert. Die meisten Menschen arbeiten von zu Hause, Restaurants und Geschäfte haben geschlossen. Nur ein kleiner Teil der Gesellschaft hält das System noch am Laufen.
Denn für all jene, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, geht der Alltag weiter wie bisher. Sie arbeiten zum Teil sogar noch härter. Eine Vielzahl von ihnen sind Frauen.
Was bedeutet systemrelevant?
Seit den Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus spielt sich das Leben großteils online ab. Sogar noch mehr als zuvor. Gleich zu Beginn wehte eine Welle der Solidarität über Social Media. Bereits am ersten Tag öffneten viele ihre Fenster und applaudierten all jenen, die gerade nicht von zu Hause aus ihrer Arbeit nachgehen konnten, sondern draußen die kritische Infrastruktur erhalten mussten. Es scheint fast so als wären sie jetzt endlich nicht mehr unsichtbar: Pflegerinnen, Kassiererinnen und Betreuerinnen, Reinigungskräfte und und und. Denn genau jene Berufe, die in den letzten Jahren vor allem in Zusammenhang mit Personalmangel, niedrigen Löhnen oder geringe Wertschätzung Schlagzeilen gemacht haben, bekommen nun ein neues Label: Systemrelevant. Was aber bedeutet systemrelevant eigentlich und wieso breitet sich der Begriff gerade auf Social Media wie ein Lauffeuer aus?
Systemrelevanz kennt man eigentlich aus der Finanzbranche. Dort kann die Insolvenz von großen Kreditinstituten, Versicherungen oder ähnlichen Finanzdienstleistern das Finanzsystem zusammenbrechen lassen. So ging es in der Finanzkrise von 2007 beim Begriff „systemrelevant“ um notleidende Banken. Jetzt gibt es wieder eine Krise, eine ganz andere. Und diesmal geht es auch beim Begriff „systemrelevant“ um etwas ganz anderes.
Sie müssen auch in der Corona-Krise funktionieren
„Ohne uns würde gar nichts weitergehen. Es wäre absolutes Chaos“, antwortet Marina auf die Frage, was für sie „systemrelevant“ bedeutet. Die 28-Jährige ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Eigentlich arbeitet sie in der Akutpsychiatrie eines Krankenhauses. Doch seit dem Ausbruch des Coronavirus ist ihr Arbeitsplatz eine Quarantäne-Station. Von einem Tag auf den anderen änderte sich Marinas Arbeitsalltag drastisch.
Was sich noch drastisch änderte, ist das Image ihres Berufs. „Früher kamen auch oft Kommentare: ‚Ja, Pflege braucht irgendwer vielleicht auch irgendwann'“, erzählt die Pflegerin über die gemischten Reaktionen auf ihren Beruf. Statistisch gesehen brauchen sogar sehr viele Menschen Pflege. 456.000 Menschen sind heute in Österreich auf Pflegeleistungen angewiesen. Und jetzt in der Corona-Krise wird noch viel deutlicher, wie wichtig Marinas Job ist.
Doch nicht nur Pfleger sind neben Ärzten besonders wichtig, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Personen, die im Supermarkt an der Kasse sitzen, unsere Regale einschlichten und dafür sorgen, dass wir mit dem notwendigsten versorgt sind. Apotheker, die unsere Medikamente herstellen. Reinigungskräfte, die an den Arbeitsplätzen und wichtigen Einrichtungen für Hygiene sorgen. Betreuerinnen, die all jene Kinder betreuen, deren Eltern weiterhin arbeiten müssen. Die Krise hat gezeigt: Sie sind alle systemrelevant.
Großer Anteil an Frauen in systemrelevanten Berufen
Und was uns die Krise außerdem gezeigt hat: Die wichtigsten Berufe, sind vor allem jene, die oft auch als Frauenberufe bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um Berufe, die überwiegend oder fast ausschließlich von Frauen ausgeübt werden. Historisch gesehen sind das vor allem Jobs im Pflegedienst, in der Raumpflege oder als Erzieherin.
Wie Daten der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland zeigen, überwiegt der Frauenanteil in denjenigen Berufsgruppen deutlich, die unsere existenziellen Lebensbereiche umfassen. Es sind etwa jeweils deutlich über 70 Prozent der Beschäftigten im Lebensmittel-Einzelhandel, bei den Sozialversicherungen oder den Krankenhäusern weiblich. Bei den Kindergärten und Vorschulen sind es sogar über 90 Prozent. Das bedeutet nicht, dass man auf all die Männer vergessen sollte, die ebenfalls in diesen Jobs arbeiten. Allerdings ist es auch für sie wichtig, dass man über die Relevanz von Frauenberufen nachdenkt. Denn Frauenberufe sind traditionell schlechter bezahlt als andere.
Wieso werden wichtige Berufe schlechter bezahlt?
„Ich glaube, dass der Großteil sich zu diesem Beruf entscheidet, um sein Helfer-Syndrom zu befriedigen oder, weil man einfach mit Menschen arbeiten und sie unterstützen möchte“, reflektiert Marina über ihre Beweggründe, den Pflegeberuf zu ergreifen. Damit liegt sie vermutlich gar nicht so falsch, denn Geld wird es nicht sein, das die meisten Leute zu diesem Job bewegt. „Wenn ich mein Gehalt mit jenem von anderen Menschen vergleiche, denke ich mir oft: ‚Ernsthaft? So viel bekommst du dafür‘?“, erzählt Marina und ergänzt: „Da denke ich mir dann schon manchmal, dass wir unterbezahlt sind.“
Gerade jetzt inmitten der Corona-Krise stellt sich die Frage, wieso etwa eine Pflegerin mit einem vergleichsweise geringen Bruttolohn auskommen muss, wenn ihr Beruf doch offensichtlich so wichtig ist. Zum Teil ist das auch dadurch bedingt, dass die Pflege genauso wie viele andere systemrelevante Berufe eben immer noch als Frauenberuf gilt. Wie ein Bericht des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen zeigt, sind Berufe mit hohem Frauenanteil immer noch schlechter bezahlt als jene mit hohem Männeranteil.
Warum das so ist, kann viele Gründe haben. Wenn man das Phänomen historisch betrachtet, kann man es aber durchaus auf unsere patriarchale Gesellschaft zurückführen. Denn die Frau galt lange Zeit nur als „Zuverdiener“. Die als „typisch weiblich“ betrachteten Tätigkeiten wie etwa großteils in der Fürsorge wurden deshalb auch geringer entlohnt. In den letzten Jahren hat sich zwar viel im Bereich der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern verbessert, doch in diesem Bereich muss noch mehr getan werden.
Was passiert nach der Corona-Krise?
Durch die aktuelle Situation haben all jene Berufe, die bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden, neue Aufmerksamkeit erhalten. Politiker bedanken sich während Pressekonferenzen bei ihnen. Menschen im Homeoffice applaudieren ihnen durch das Fenster zu und auf Social Media zeigen sich immer mehr User solidarisch mit den „Helden der Krise“. „Jetzt sind wir in den Medien sehr präsent, aber ich glaube, dass die Leute schon bald wieder vergessen, was wir täglich leisten“, zeigt sich Marina trotz der momentanen Solidarität pessimistisch.
Die Frage bleibt also, was nach der Corona-Krise passiert. Das Virus und die gesetzten Maßnahmen, die zur Eindämmung seiner Ausbreitung gesetzt wurden, greift in alle Lebensbereiche ein. Selbst für Experten und Politiker ist es schwer, vorauszusehen, was sein wird, sobald die Infektionsrate sinkt, die Ausgangsbeschränkungen schrittweise aufgehoben werden und schließlich alles wieder auf Normalbetrieb läuft. Unserer Wirtschaft wird es schlecht gehen, so viel können die Regierungen schon einmal sagen. Wie schlecht, weiß man wohl erst in Zukunft. Doch die Hoffnung bleibt, dass wir als Gesellschaft etwas aus der jetzigen Ausnahmesituation lernen und nicht darauf vergessen, wer und was in Krisenzeiten wichtig ist.