6 Gründe, warum wir auch nach dem Pride Month für mehr Diversität kämpfen müssen
Der Pride Month ist vorbei, was nun? Die meisten von uns sind bei der Pride Parade mitgelaufen. Dabei haben wir stolz die Regenbogenflagge geschwungen und sind, so bunt es geht, fröhlich durch die Straßen getanzt. Wir predigten Gleichstellung und Diversität und verkündeten laut „Love is Love“. Aber tun wir das auch den Rest des Jahres?
Wir haben uns angeschaut, wie die aktuelle weltweite Lage der LGBTQIA+-Community aussieht. Und lasst uns eins vorwegnehmen: Wir sind immer noch meilenweit davon entfernt, von annähernder Gleichstellung reden zu können.
Toleranz und Unterstützung hören nicht einfach ab dem 1. Juli auf
Der Juni wirkt rückblickend immer wie eine große bunte Party, bei der jeder und jede von uns genau so akzeptiert wird, wie er oder sie ist. Und das soll auch so sein! Der LGBTQIA+-Community einen Monat zu widmen, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Toleranz und Awareness. Da machen wir natürlich alle mit und bekunden unsere Unterstützung, wo es nur geht: Mit Kleidung, Flaggen, Make-up oder indem wir online tatkräftig mit kommentieren und queeren Content teilen. Im Juni sehen wir die spaßigen und fröhlichen Seiten der Diversität und es sieht so aus, als würde die gesamte Gesellschaft an einem Strang ziehen. Unternehmen und Politik schmücken Logos, öffentliche Gebäude und öffentliche Verkehrsmittel mit Regenbogenfarben und es wirkt fast zu schön, um wahr zu sein. Fast wie eine Illusion. Die Frage ist hier, ob es sich nicht einfach oft nur um reine Symbolpolitik handelt. Dahinter steht zwar meist eine vorbildliche Intention, aber tatsächliche Maßnahmen nach dem Pride Month fehlen oft. Denn die Probleme und Schwierigkeiten, mit denen Menschen der LGBTQIA+Community täglich konfrontiert werden, bleiben, auch wenn die Regenbogenflaggen ab dem 1. Juli verblassen.
6 Gründe, wieso wir auch nach dem Pride Month für Toleranz und Gleichberechtigung kämpfen müssen
Diese Zahlen und Vorfälle zeigen, dass der Weg zu einer gleichgestellten Gesellschaft für die LGBTQIA+-Community noch lange nicht vorbei ist.
1. Schulverweis wegen Tragen eines Rocks
In Spanien wurde ein Schüler der Schule verwiesen und dazu noch der Besuch eines Psychologen verordnet, weil er einen Rock trug. Ist es nicht erschreckend, dass ein Schüler allein aus dem Grund diskriminiert wird, weil er ein weiblich konnotiertes Kleidungsstück trägt? Dabei ist es in einigen Kulturen sogar Tradition, dass Männer einen Rock tragen. Wieso wird dann ein junger Schüler in einem vermeintlich toleranten europäischen Land wie Spanien für seine Kleiderwahl bestraft? (Spanien war übrigens weltweit das dritte Land, das die „Ehe für Alle“ einführte) Wir hatten gehofft, dass Mode inzwischen kein Geschlecht mehr kennt. Kann Mode binäre Geschlechternormen aufbrechen? Wir sagen ja! Und einige Stars haben es schon vorgemacht. Unter anderem posierte Harry Styles in einem Kleid für das Cover der Vogue. Also lasst die binären Modevorstellungen hinter euch! Wieso sollte bei Kleidungsstücken überhaupt nach Geschlecht differenziert werden?
2. Neues LGBTIQ-feindliches Gesetz in Ungarn
Während es in ganz Europa so aussieht, als wären wir bei der Entwicklung der Gleichstellung langsam auf einem guten Weg, fährt Ungarn die europäischen Entwicklungen direkt wieder an die Wand. Denn die ungarische Regierung erließ vor einigen Wochen ein umstrittenes Gesetz, wonach Materialien über Homosexualität und Transidentität an Schulen zensiert werden sollen und für Minderjährige verboten werden. Als ob das nicht genug wäre, knüpft Ungarn diese Verordnung an den Paragrafen, der sich mit den strengsten Strafen für Pädophilie beschäftigt. Pädophilie, seriously?! Was soll das denn für eine Botschaft senden?! Ein absoluter Schlag ins Gesicht für die LGBTQIA+-Community.
Zurück zum Thema: Keinen Zugang zu neutralen Informationen für junge Menschen zum Thema Homosexualität und Transidentität ist fatal. (siehe Punkt 5!) Unklar ist immer noch, welche Ausmaße das Gesetz annehmen wird. Werden jetzt alle Serien, Filme, Bücher etc. mit queeren Inhalt zensiert? Werden Sätze in Büchern mit schwarzen Balken versehen oder Filme bzw. Serien mit queeren Inhalten für junge Menschen im ungarischen Netflix und Co. nicht mehr verfügbar sein? Zum Glück will die EU-Kommission nun gegen das Gesetz vorgehen, weil es gegen fundamentale europäische Werte verstößt. Diese Entwicklungen darf eine offene und tolerante Gesellschaft, wie es die EU repräsentieren will, nicht einfach hinnehmen.
3. Die gleichgeschlechtliche Ehe nur in wenigen Ländern erlaubt
Erst in 29 von 195 Ländern dieser Welt ist die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt. Auch in Österreich ist es für gleichgeschlechtliche Paare erst seit dem Jahr 2017 möglich zu heiraten. Die Niederländer waren hier schon 16 Jahre früher dran und führten die „Ehe für Alle“ im Jahr 2001 ein. Nach und nach folgten immer mehr Staaten, die bei der Ehe inzwischen keine Differenzierung mehr machen. Ihr glaubt, die EU sei da schon gut dabei? Dann müssen wir euch leider enttäuschen. In der EU haben Bulgarien, Rumänien, Slowenien, Lettland, Polen und Litauen weder die „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ noch die „Ehe für Alle“. Wie die Zahlen also zeigen, kann hier von Gleichstellung überhaupt noch nicht die Rede sein.
4. In vielen Ländern dieser Welt gilt Homosexualität als Straftat
In 69 Staaten dieser Welt gelten homosexuelle Handlungen als Straftat. Ja, richtig gehört! In diesen Ländern ist Love ≠ Love. Und in einigen Ländern schweben Homosexuelle heutzutage sogar in Lebensgefahr. Die Staaten Brunei, Iran, Jemen, Mauretanien, Nigeria und Saudi-Arabien sehen für homosexuelle Handlungen sogar die Todesstrafe vor! Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs: In vielen Fällen sind es religiöse oder auch politische Führer, die das Klima in Richtung Verfolgung und Ausgrenzung der LGBTIQ+-Community vorgeben. Damit werden LGBTI-Personen gesellschaftlich ausgeschlossen, wenn sie es offen leben. Im Dezember 2020 hat ILGA World übrigens ein Statusupdate über die globale Gesetzgebung veröffentlicht, falls euch die rechtliche Seite des Themas noch genauer interessiert.
5. Das Selbstmordrisiko bei LGBTQIA+ Personen ist viel höher
Viele internationale Studien haben schon mehrmals nachgewiesen, dass queere Jugendliche ein viel höheres Risiko für suizidales Verhalten aufweisen als gleichaltrige nicht-queere Jugendliche. Eine Studie aus dem Jahr 2018 fasste dafür 35 Studien aus zehn Ländern zusammen. Dabei kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass homosexuelle Jugendliche ein 3-mal höheres und Transgender sogar ein 6-mal höheres Suizidrisiko haben als gleichaltrige heterosexuelle Teenager. Die Wissenschaftler sind sich einig, dass die gesellschaftliche Tabuisierung dazu führt, dass die Jugendlichen nicht mit ihrer Geschlechteridentität zurechtkommen. Die Zahlen sind alarmierend und zeigen eindeutig, dass die Akzeptanz eben noch nicht in der breiten Bevölkerung angekommen ist.
6. So sieht Diskriminierung von LGBTQIA+ Personen im Alltag aus
Vergangenes Jahr veröffentlichte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ihre Ergebnisse ihrer Untersuchung zum Thema Hassverbrechen bzw. Diskriminierung von LGBT-Personen. Für diese Studie wurden 140.000 LGBT-Personen aus allen EU-Mitgliedsstaaten und Beitrittskandidaten befragt. Die Ergebnisse lassen einen einfach nur kopfschüttelnd zurück. Dabei gaben 43 Prozent der Befragten an, dass sie bereits aufgrund ihrer sexuellen Orientierung belästigt worden sind. Auch am Arbeitsplatz traut sich jeder Fünfte nicht offen über die sexuelle Orientierung zu sprechen, aus Angst es würde negative Folgen nach sich ziehen. Jeder zehnte Homosexuelle und jeder sechste Transgender wurde schon aufgrund seiner sexuellen Identität bzw. Geschlechtsidentität körperlich oder verbal angegriffen.
Was wir daraus lernen:
Nur weil im Pride Month alles in den Farben der Akzeptanz funkelt und glänzt, bedeutet das nicht, dass das auch die Realität unserer Gesellschaft widerspiegelt. Denn dort ist Gleichberechtigung noch immer nicht angekommen. Die oben genannten Fakten und Zahlen sind nur wenige, die das bestätigen. Es ist also mehr also notwendig, uns auch abseits des Pride Months für die Rechte der LGBTQIA+-Community einzusetzen und für sie zu kämpfen. Das beginnt damit, dass wir alle versuchen müssen, verinnerlichte Gesellschaftsstrukturen und erlernte Verhaltensmuster zu hinterfragen. Wir müssen bewusster dagegen steuern und handeln und das auch über den Pride Month hinaus.