Generation „Fomo“ – Warum sich niemand mehr binden möchte
„Ich habe zurzeit keinen Kopf für eine Beziehung“, „Schauen wir mal, ich möchte mich gerade nicht binden“ oder „Ich will lieber nichts definieren“! Wie oft habe ich diese Sätze in letzter Zeit von Freundinnen gehört, die von ihren Dating-Erfahrungen erzählen und auch ich selbst bin bereits in einer Nicht-Beziehung gelandet. Zwei Jahre lang dachte ich eigentlich, mit jemandem zusammen zu sein und so etwas wie eine Beziehung zu führen, um am Ende dann mit den Worten „Ich habe doch von Anfang an gesagt, dass ich nichts Ernstes will“ stehen gelassen zu werden.
Was bitte ist eine „Nicht-Beziehung“!?
Wirklich verstanden habe ich dieses Konzept der „Nicht-Beziehung“ ehrlich gesagt nicht. Denn obwohl sich keiner an den anderen binden möchte, werden alle typischen Phasen und Verhalten einer Beziehung miteinander durch- und erlebt. Es ist mehr als nur Freundschaft-Plus. Man hat Sex, man ist verliebt, man kennt die Freunde und teilweise sogar die Familie des anderen und genießt alle Vorzüge, die eine Partnerschaft so mit sich bringen kann. Man tauscht sich aus, spricht über seine Alltagsproblemchen, verbringt die Wochenenden zusammen, genießt das Leben und streitet ab und an auch mal – wie man das eben in einer Beziehung so macht. Aber trotzdem ist man offiziell kein Paar. Warum eigentlich?
Generation FOMO – Die Angst davor, etwas zu verpassen
„FOMO“ – the fear of missing out. Das scheint wohl die plausibelste Erklärung für das Phänomen der unverbindlichen Beziehung zu sein. Denn: Es könnte ja immer etwas besseres daher kommen, für das man dann offen und bereit sein muss. Niemand will sich festlegen, die Zeit der Langzeitbeziehung scheint vorbei zu sein und niemand kommt mehr, um zu bleiben. Die Generation FOMO will am ganzen Kuchen mitnaschen und nicht mehr nur ein kleines Stück davon haben.
Was ist an dem Wort „Beziehung“ eigentlich so schlimm?
Zum Problem wird dieses Beziehungskonzept immer dann, wenn einer der beiden doch mehr empfindet, als der andere und der Sache endlich einen Namen geben will. Dann kommt es meistens zum Bruch und die Nicht-Beziehung wird wirklich zur Nicht-Beziehung. Oft scheitert es scheinbar aber auch einfach nur an der Definition, die für manche so beklemmend zu sein scheint, dass sie lieber Single bleiben, als ihren Beziehungsstatus auf „vergeben“ zu setzen. Aber bitte was ist an dem Wort Beziehung eigentlich so schlimm? Nur weil ich das Ganze nicht Beziehung nenne, schützt es mich nicht davor, verletzt zu werden. Das kann immer passieren – egal ob ich offiziell mit jemandem zusammen bin oder nicht.
„Wir leben in einem Zeitalter der medialen Verführung“
Was steckt eigentlich hinter dieser neuen und scheinbar so modernen Form der Beziehung? Psychologin Caroline Erb ist überzeugt davon, dass die mediale Verführung bei der Angst davor, sich zu binden, definitiv eine Rolle spielt. In Zeiten von Tinder, Instagram, Facebook & Co ist es viel leichter, neue Leute kennen zu lernen und die Auswahl an potentiellen Partnern scheint unendlich zu sein. Das alles ist oftmals aber einfach auch mehr Schein als Sein, so Caroline Erb. Denn andererseits scheint gerade die junge Generation heute fast noch spießiger zu sein, als die ältere und der Wunsch nach Heirat und Familie wird groß geschrieben. Trotzdem haben viele große Angst, davor sich zu binden – aber warum?
Eine narzisstische Persönlichkeit
Auch die eigene Persönlichkeit spielt beim Phänomen der Nicht-Beziehungen eine Rolle. Oftmals liegt jenen, die sich nicht festlegen wollen, eine narzisstische Persönlichkeit zu Grunde. „Ein Typus, der sehr stark Feedback-abhängig ist, viel Bestätigung von anderen braucht und ständig auf der Suche nach Anerkennung ist“, so Erb. Narzissten geht es nicht um den anderen, sondern in erster Linie um sich selbst. Sie fühlen sich als einer der „Top-Gerankten am Single-Markt“ und die Suche nach Bestätigung ist ein Spiel, das bis zum Suchtverhalten geht, nach dem Motto „Wie viele kann ich abbekommen?“, warnt Psychologin Caroline Erb.
Beziehungen in der Kindheit können zu Bindungsangst führen
„Die Vermeidung und die Angst davor, sich zu binden, ist sehr stark frühkindlich geprägt und hängt viel mit dem Erlebten zusammen. Konnte man gelungene Beziehung leben und positive Erfahrungen machen? Gescheiterte Beziehungen hinterlassen Spuren und einen bitteren Nachgeschmack“, so die Psychologin. Viele belügen sich dabei aber selbst und die vermeintliche Freiheit wird zur Perfektionsfalle, so Erb weiter. Doch wie komme ich aus dieser Falle eigentlich wieder raus? Wichtig ist, zu erkennen, wann es Zeit ist, zuzuschlagen und Nägel mit Köpfen zu machen, sobald dann plötzlich doch der oder die Richtige vor einem steht. Oder man muss irgendwann die Notbremse ziehen, wenn einem in der Nicht-Beziehung alles zu viel wird. Das erfordert aber jede Menge Mut, weiß die Psychologin.
Meine Nicht-Beziehung hat mich stark gemacht
„Ich habe doch von Anfang an gesagt, dass ich nichts Ernstes will“ – ja, eigentlich hätte ich es also von Anfang an wissen müssen. Aber so wirklich habe ich es dann doch nie geglaubt. Ich kann die sein, die die Nuss knackt und dem FOMO-Wahnsinn ein Ende setzt. Falsch gedacht, denn eigentlich war danach nur ich am Ende. Mehr nicht. Doch die ganze Sache hat mich stark gemacht. Ich habe viel über mich gelernt, weiß jetzt, was ich will und was nicht. Und eines weiß ich ganz genau: „Nicht-Beziehungen“ sind eindeutig NICHTS für mich.